12. Februar 2015
Zum dritten Luncheon Roundtable der Stiftung Münch trafen sich am 12. Februar in kleiner Runde verschiedene Experten, um über Qualität im Gesundheitswesen zu diskutieren.
- Dr. Thomas Mansky, Leiter Fachgebiet Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement, TU Berlin
- Jochen Metzner, Referatsleiter Krankenhausversorgung, Hessisches Sozialministerium
- Markus Rudolphi, Hauptgeschäftsführung Bundesärztekammer, Bereichsleiter Gesundheitssystemanalyse
- Bernd Schulte, Bernd Schulte Healthcare – network&communication, ehem. Geschäftsführer des städt. Krankenhaus Maria Hilf, Brilon
- Dr. Jürgen Wasem, Stiftungslehrstuhl für Medizin-Management, Universität Duisburg-Essen
- Guido Bohsem, Parlamentsbüro Wirtschaft, Süddeutsche Zeitung
- Eugen Münch, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Münch
- Dr. Boris Augurzky, Geschäftsführer der Stiftung Münch
- Annette Kennel, Referentin Öffentlichkeitsarbeit
Überkapazitäten führen zu hohen Kosten und einer zu geringen Qualität
Im internationalen Vergleich ist die deutsche Krankenhauslandschaft durch eine große Zahl an Betten und Krankenhäusern je Einwohner charakterisiert. Die Mehrheit der Teilnehmer war sich einig, dass auch tatsächlich Überkapazitäten bestehen, wenn auch regional sehr unterschiedlich ausgeprägt. Insbesondere muss zwischen Ballungszentren und der Region differenziert werden, und auch die Ballungszentren haben jeweils eigene Besonderheiten; etwa, wenn dort die Versorgung für die umliegende Region mit abgedeckt wird. Entscheidend sei auch, ob die Bettenzahl auf viele Häuser verteilt oder in wenigen großen Kliniken konzentriert ist, d.h. die Klinikdichte.
Die hohe Klinikdichte mit vielen kleinen Krankenhäusern führt in den Augen der meisten Teilnehmer zu Problemen: zum einen entstehen hohe Kosten, da Versorgungsstrukturen unabhängig vom Bedarf vorgehalten und finanziert werden müssen. Zum anderen kann bei solchen Strukturen nicht immer die Qualität der angebotenen Leistungen auf hohem Niveau gehalten werden: die Leistungen werden zwar angeboten, aber nicht ausreichend oft durchgeführt, so dass die erforderliche Erfahrung nicht immer gegeben ist.
Politische und kurzfristige finanzielle Abwägungen verhindern notwenige Klinikschließungen
„Jedes Jahr hören wir, dass es Überversorgung gibt und etwa ein Drittel der Kliniken defizitär arbeitet. Aber es kommt nicht zu Schließungen“, so ein Teilnehmer. Kliniken und ihre Träger tun nach Ansicht einiger Diskutanten alles in ihrer Macht stehende, um ein solches Szenario zu verhindern. Angesprochen werden hier finanzielle Unterstützungen seitens der Träger und die Ausweitung des Leistungsportfolios, um erstens sämtliche strukturelle Vorgaben erfüllen und zweitens zusätzliche Erlöse erzielen zu können.
Aus Sicht eines kommunalen Trägers kann es tatsächlich günstiger sein, Defizite einer Klinik zu finanzieren als die wirtschaftlichen Nachteile für die Region durch Schließung der Klinik in Kauf zu nehmen – abgesehen von zu erwartenden negativen Reaktionen der Wählerschaft. Die Kosten-Nutzen-Rechnung eines Kommunalpolitikers geht damit also über das Krankenhaus hinaus- und damit letztlich zu Lasten der Versorgungsqualität für die Patienten.
Ein pauschaler Kapazitätsabbau nach dem Gießkannenprinzip würde das Problem jedoch nicht lösen. Denn die veralteten Strukturen blieben erhalten und es würde weiterhin ein nicht mehr zeitgemäßes System finanziert. Strukturelle Veränderungen sollten sich neben der Wirtschaftlichkeit an der medizinischen Qualität orientieren. Ein Umbau der Krankenhausstrukturen erfordert überdies Investitionsmittel, die seit Jahren besonders knapp ausfallen. Der Anstoß zu Veränderungen kann über Investitionsmittel kommen. Jedoch müssen auch die Versorgungssicherheit und die Qualität ein entscheidende Faktoren dabei sein. Dazu benötigen die Patienten gut fundierte Informationen über die Qualität.
Transparente Qualität – nicht gewünscht?
Im ersten Schritt ist eine höhere Qualitätstransparenz erforderlich. Wäre diese gegeben, könnte so durch eine verändere Nachfrage ein großer Veränderungsdruck entstehen. Im zweiten Schritt wäre dann eine ergänzende qualitätsorientierte Vergütung zu überlegen, die den Veränderungsdruck auf das System weiter verstärken könnte.
Theoretisch liegen alle Daten vor, die es ermöglichen würden, die Qualität transparenter zu zeigen. Doch die Ergebnisse der Qualitätsanalysen dürften derzeit nicht so publiziert werden, dass die Daten der einzelnen Klinik zugeordnet werden können.
Damit ist eine qualitätsbasierte Entscheidung für oder gegen eine Einrichtung nicht möglich. Die Forderung, dies künftig tun zu können, wurde kontrovers diskutiert. Verschiedene Ärzte- und Krankenhauslisten z.B. von der Tagespresse und Wochenzeitschriften zeigten, dass ein starkes öffentliches Interesse danach bestehe – ebenso seitens der Leistungserbringer mit nachgewiesen guter Qualität. Nichtsdestoweniger existieren zum Teil große methodische Schwierigkeiten, die Qualitätsmaße zwischen Einrichtungen vergleichbar zu machen. Als Stichworte wurden die Risikoadjustierung und die mangelnde sektorenübergreifende Betrachtung genannt. Bei einer Veröffentlichung von nicht entsprechend bereinigten Qualitätsmaßen kann es dann zu ungewollten Wettbewerbsverzerrungen kommen. Abgesehen von methodischen Schwierigkeiten müssen Qualitätsinformationen für die Bevölkerung gut verständlich aufbereitet werden, sonst würden sie ihre Wirkung verfehlen. Unter anderem das neu gegründete Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) soll sich diesen Aufgaben widmen. Letztendlich müssen sich aber die Leistungserbringer dafür stark machen.
Gibt es den mündigen Patienten und kann der Arzt damit umgehen?
Daran schloss sich eine Diskussion darüber an, ob und in welchem Maße Patienten diesbezüglich überhaupt „mündige Bürger“ sein können oder wollen. Zumindest derzeit scheinen die bestehenden Informationen kaum abgerufen zu werden – oder es werden trotz vorhandener sachlicher Information emotionale Entscheidungen in Bezug auf die Arztwahl gefällt. Nach wie vor scheint der niedergelassene Arzt oder die Empfehlung von Bekannten eines der wichtigsten Entscheidungskriterien zu sein.
Auch scheint der „mündige Patient“ beim Arzt nicht immer besonders willkommen zu sein. „Wir beobachten immer noch, dass viele Ärzte es als „Majestätsbeleidigung“ auffassen, wenn der Patient mit eigenen Informationen und Vorstellungen kommt“, so ein Teilnehmer.
Doch auf der anderen Seite scheinen viele Patienten nicht in der Lage zu sein, Qualität zu beurteilen – oder kein Interesse daran zu haben. Kann also durch mündige Patienten überhaupt eine Veränderung im System angestoßen werden? Eugen Münch betont, dass eine Mehrheit dazu nicht erforderlich sei. Er ist überzeugt: Würden nur fünf bis zehn Prozent aller Patienten ihre Entscheidung für oder gegen ein Krankenhaus aufgrund objektiver Qualitätsinformationen fällen, wäre diese Menge ausreichend, um das System zu verändern. Bei mangelnder Qualität könnte dadurch ein Krankenhaus bereits eine derart spürbare Reduktion seiner Auslastung erfahren, dass auch finanzielle Hilfen seitens des Trägers nicht mehr viel ausrichten könnten. Kommt ergänzend eine qualitätsorientierte Vergütung hinzu, kann sich dieser Prozess noch beschleunigen.
Generalisten und Spezialisten – Wandel auch in der Berufsausbildung erforderlich
Um ein hohes Versorgungsniveau anzubieten, müssen auch die Ärzte umdenken. Der Arbeitsplatz des Arztes wird in Zukunft ein hochtechnologisches Umfeld sein. Vieles von dem, was heute noch nötig ist, wird er dann nicht mehr leisten müssen. Um die Qualität erhöhen zu können und dabei trotzdem wirtschaftlich zu bleiben, werden vernetzte Strukturen eine immer wichtigere Rolle spielen. Die Tätigkeiten der Ärzte werden sich stärker aufspalten in medizinische Spezialisten einerseits und Betreuungsarzt bzw. Lotse durch das System andererseits.
Solch veränderte Anforderungen müssen bereits in der Ausbildung berücksichtigt werden, beispielsweise eine Ausbildung für Ärzte, die eine stationäre Versorgung anstreben, und solche, die als Lotse fungieren wollen. Derzeit werden zu viele Spezialisten und zu wenige Generalisten ausgebildet. „Auch in der Ausbildung müssen wir von der 1950-er Jahre-Struktur weg“, so ein Teilnehmer.