Dass die Mittel im Gesundheitsfonds nach der Pandemie zunehmend knapper werden, ist bekannt. Dies steigert ganz besonders den Druck auf Budgetverhandlungen zwischen den Kostenträgern und den Leistungserbringern über alle Sektoren hinweg und es wird schwieriger, Einigungen zu erzielen.
Der Logik der Selbstverwaltung folgend sind dann Schiedsstellen gefordert. Doch auch die haben zunehmend ihre Probleme, einen „richtigen“ Weg zu finden. Eine zu erwartende zunehmende Anzahl angerufener Schiedsämter lähmt die Selbstverwaltung und zeigt ihre Schwächen auf: Viele Schiedsamtsmitglieder können die Komplexität der Sachverhalte im Rahmen ihrer „Nebentätigkeit“ oft nicht mehr erfassen. Hinzu kommen die Klagen gegen die Schiedssprüche, die zu langwierigen juristischen Verfahren führen, in denen ökonomischer Sachverstand nicht mehr an erster Stelle steht.
Wenn die Selbstverwaltung mit korporatistischen Verhandlungen bestehen und im Vorteil gegenüber staatlichen Systemen stehen will, gilt es nachzujustieren.
Welche Aufgaben lassen sich im Schiedsamt in der Selbstverwaltung lösen, welche sollten durch staatliches Handeln gelöst werden? Gelingt ein neues Miteinander in der Selbstverwaltung? Wie können Schiedsämter in ihrer Komplexität reduziert werden? Bedarf es neuer Anforderungen an Schiedsstellenmitgliedern?
Darüber diskutierten die Teilnehmer des Luncheon Roundtables im November.
Zu den Teilnehmern gehörten:
- Harry Apfeld, Referatsleiter am Bundesamt für Soziale Sicherung
- Prof. Dr. Friedrich Breyer, unparteiisches Mitglied der Krankenhaus-Schiedsstelle Bund
- Prof. Dr. Dagmar Felix, Professur für Öffentliches Recht mit dem Schwerpunkt Sozialrecht an der Universität Hamburg
- Dr. Ulrich Orlowski, Vorsitzender der Schiedsstelle und Vorsitzender des Landesschiedsamtes der KV Berlin
- Prof. Bernt-Peter Robra, ehemaliger Institutsdirektor am Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsforschung
- Johannes Wolff, Referatsleiter Krankenhausvergütung beim GKV-Spitzenverband
sowie von der Stiftung Münch Professor Boris Augurzky (Vorstandsvorsitzender), Eugen Münch (Stv. Vorstandsvorsitzender), Dr. Christian Zschocke (Vorstand), Professor Andreas Beivers (Leiter wissenschaftliche Projekte) und Annette Kennel (Geschäftsführerin).
Welche Leistungen sind in welcher Menge und zu welchen Vergütungen angemessen? Wie sollen sie erbracht werden? Wie kann die Qualität der Versorgung gewährt werden? Darüber entscheiden die Organe der Selbstverwaltung, die für die Ausgestaltung der medizinischen Versorgung nach gesetzlich vorgegeben Rahmenbedingungen zuständig ist. Dabei haben auf der einen Seite die Leistungserbringer den Anspruch, angemessen vergütet zu werden. Auf der anderen Seite wollen die Kostenträger unnötige Ausgaben vermeiden.
Es gilt also, zu verhandeln und Lösungen zu finden. Gelingt dies nicht, sollen Schiedsverfahren helfen, eine Einigung zu finden – zeitnah und unparteiisch. Dabei gibt es entweder eine Schiedsstelle, die aus mehreren Personen besteht, oder eine einzelne Schiedsperson wird bestimmt. Der Schiedsspruch ist dann für beide Parteien bindend. Damit dies gelingen kann, haben die Schiedsstellen Gestaltungsspielräume, wie sie zuvor auch die Parteien bei ihren Vertragsverhandlungen hatten.
Schiedsämter gibt es auf Landes- und auf Bundesebene, für die Kontrolle ist das Land bzw. das dem Bundesgesundheitsministerium unterstellte Bundesamt für Soziale Sicherung verantwortlich. Auf Landesebene werden beispielsweise Konflikte in der Krankenhaus- und vertragsärztlichen Versorgung vorgetragen.
Wird der Schiedsspruch von einer Seite nicht akzeptiert, kann sie Klage einreichen, der Fall wird dann vor dem Verwaltungs- oder Sozialgericht verhandelt. Damit treten jedoch immense zeitliche Verzögerungen auf. „Die Verwaltungsgerichte lassen die Fälle oft jahrelang liegen, weil sie sagen, dass sie das gar nicht können. Das ist eine Katastrophe“, so ein Teilnehmer der Diskussion. Ein anderer berichtete von einem Fall, in dem das Gericht erst nach zehn Jahren eine Entscheidung traf – zu diesem Zeitpunkt hatten sie die Rahmenbedingungen jedoch schon völlig verändert.
Wille zu konsensorientierten Verhandlungen muss wieder in den Fokus
Nach Errichtung der ersten Schiedsstellen wurden in den 90er Jahren nur eine geringe Zahl von Verfahren dort geregelt. Ab dem Jahr 2000 änderte sich dies; immer mehr Konflikte wurden zur Lösung bei den Schiedsstellen vorgetragen. Dabei, so ein Teilnehmer der Diskussion, habe sich auch eine künstliche Komplexität ergeben, nicht zuletzt, da die Verhandlungen zu einem Geschäft für Anwälte geworden sind. Zu Beginn wäre in der Regel nur die Seite der Krankenhäuser anwaltlich vertreten gewesen, die Krankenkassen nicht – und hätten deshalb schlechtere Karten gehabt. „Jetzt sind beide Seiten anwaltlich vertreten, es gibt Schriftsätze mit mehreren hundert Seiten“, betonte der Teilnehmer, „dabei sind es eigentlich immer die gleichen Bausteine und man könnte das auf viel weniger reduzieren.“
Problematisch beim Finden einer Lösung vor der Schiedsstelle sei auch ein zunehmender Trend zum Lobbyismus, monierte ein Diskutant: „Es gibt eine neue politische Liebe, ins Lenkrad zu greifen und neue Vorgaben zu machen.“ Dies habe mit „Politikmarketing“ und der Geschwindigkeit der neuen Gesetzgebung zu tun: „Die Lösungen werden gar nicht mehr im Spiel gesucht, sondern darin, einfach die Regeln zu verändern.“
Die Teilnehmer waren sich einig, dass das Ziel sein muss, dass beide Seiten wieder dazu übergehen, ernsthaft miteinander zu verhandeln und einen Konsens zu finden – und nicht, wie es ein Teilnehmer formulierte, „auf die Gerichte schielen“. Ein Teilnehmer der Runde unterstrich die Bedeutung von Verhandlungen. „Der Weg ist das Ziel“, betonte er, denn nur so gäbe es die Möglichkeit, unterschiedliche Positionen auch nachhaltig zusammenzubringen. „Das ist wie Leute, die sich mit dem Hubschrauber auf den Mount Everest fliegen lassen, um dann die Aussicht zu genießen. Aber die Erfahrungen, die man auf dem Aufstieg macht und teilt, fehlen dann“, formulierte er.
Klare gesetzliche Regelung der Gestaltungsfreiheit
Mit der zunehmenden Zahl strittiger Verfahren stellt sich immer häufiger das Problem, ob Verfahren, die nicht vor dem Schiedsamt gelöst werden können, vor Gericht verhandelt werden sollen.
Das kann für die Mitglieder der Schiedsstelle ein großes Problem bei der Suche nach einer Lösung sein. „Die immer im Hintergrund stehende gerichtliche Kontrolle führt dazu, dass das, was die Schiedsstelle als Ergebnis produzieren kann, sehr eingeengt ist“, so ein Teilnehmer. Das Schiedsamt hat zwar grundsätzlich Gestaltungsspielraum. Vor Gericht wird dann überprüft, in welchem rechtlichen Rahmen die Gestaltungsfreiheit ausgeübt wurde. Zum Beispiel, ob die Entscheidung auf soliden Daten erfolgte – die es jedoch oft gar nicht gibt. „Es ist zwar eine zurückgenommene Prüfung, bei der auch berücksichtigt wird, dass es sich bei den Schiedsamtsvorsitzenden um ein Ehrenamt handelt“, so ein Teilnehmer. Er forderte, dass durch den Gesetzgeber eine klare Regelung für die Gestaltungsfreiheit erfolgen muss. Darin müsste auch festgelegt werden, wie viel eine Schiedsstelle grundsätzlich untersuchen muss und ob sie Behördenstatus hat. „Wenn wir den Rechtsschutz nicht abschaffen, aber deutlich reduzieren, zwingen wir faktisch zu ernsthafteren Verhandlungen“, so ein Diskussionsteilnehmer, „denn dann ist klar, dass der Schiedsrichter entscheidet, wenn es keine Einigung gibt.“ Somit werde das Verfahren wieder auf die Ebene der Selbstverwaltung zurückgespielt – wo es hingehöre.
Gerichtliche Prüfung auf Unbill und direkte Entscheidung zur Erhöhung der Effizienz
Wird statt einer Schiedsstelle eine Schiedsperson eingesetzt, stellt sich der Sachverhalt anders dar. Deren Schiedssprüche sind auch gerichtlich überprüfbar, aber nur darauf, ob sie unbillig sind – eine deutlich zurückgenommene Prüfung. Tritt der Fall einer solchen Prüfung ein, gibt es zudem eine Besonderheit: Sollte das Gericht zu dem Schluss kommen, dass der Schiedsspruch unbillig ist, verweist es nicht zurück an eine Schiedsstelle, sondern ersetzt den Schiedsspruch direkt. „Das spart also eine Schleife“, so der Diskutant. Er regte an, diese Art der gerichtlichen Prüfung auf eine höhere Ebene zu heben. Bei kleineren Verfahren, in denen häufig ein Leistungserbringer und ein Kostenträger involviert sind, könnte man so die Effizienz deutlich erhöhen.
Ein Teilnehmer merkte an, dass die drohende Überprüfung des Schiedsspruchs durch ein Gericht nicht immer ein Nachteil sein müsse. Man solle nicht immer nur die Tagesordnung abarbeiten, sondern müsse gewichten – sowohl, das in den Schriftsätzen steht als auch, was darüber hinaus vorgetragen wird. „Und dann soll man keine Angst vor dem Gericht haben, sondern das Gericht instrumentell sehen“, meinte er, „als neutrale Bank in einem Schiedsverfahren sollte man nachgelagertes Gerichtsverfahren zu seinem Bauzeugkasten zählen; sowohl als Druckmittel, als auch, um eine Grundsatzentscheidung bei immer wiederkehrenden Fragen zu erhalten.“
Klare Regeln für die Verantwortung Land oder Bund
Ein weiteres Problem, das bei den Schiedsstellen immer wieder auftritt, sind die unterschiedlichen Ebenen. So ist für ein Krankenhaus das Land zuständig, die Vertreter der Krankenkasse können jedoch unter Bundesaufsicht stehen; oder eine der Parteien wird von einem Bundesverband vertreten. Hier forderten viele Teilnehmer ebenfalls eine klare Regelung: „Wenn etwas auf lokaler Eben verhandelt werden soll, dann müssen die Bundesvertretungen auch die Kontrolle abgeben und das zulassen“, so ein Diskutant, „entweder gibt man der Landesebene die Verantwortung, dann muss Bundeseben sich raushalten, oder Bundesebene ist zuständig und man nimmt Ländern die Verantwortung.“ Dies sei ein wichtiges, ordnungspolitisches Anliegen.
Oft können zu Beginn nicht vorhersehbare Kompromisse erzielt werden
Doch einige der Teilnehmer betonten, dass sie gute Erfahrungen mit Schiedsstellen gemacht haben. „Ich habe nicht den Eindruck, dass die Schiedsstellen dysfunktional sind“, so ein Diskutant. Oft würden es gelingen, Kompromisse zu finden, die vorher nicht absehbar waren. „Es ist ein bisschen Theater, das in den ersten zwei Stunden gespielt wird, aber wenn die neutralen Mitglieder mit vernünftigen Vorschlägen kommen, geht es meist“, berichtete er. Das Bemühen, für beide Seiten tragbare Kompromisse zu finden, sei für ihn erkennbar. Für den Erfolg sei in seinen Augen ein juristisch kompetenter Vorsitzender nötig, der den gesetzlichen Rahmen absteckt und die Verhandlungen auf die tatsächlich strittigen Punkte konzentriere. Auch ein weiterer Teilnehmer der Runde betonte, dass insbesondere auf Bundesebene meist gute Ergebnisse erzielt werden.
Doppelspitze aus Jurist und Ökonom
Die Schiedsstellen sind in der Regel mit einem unparteiischem Vorsitzenden und ehrenamtlichen und Mitarbeitern besetzt. Der Erfolg hängt oft von den einzelnen Personen und deren Geschick in der Konfliktlösung ab. „Dabei geht es auch ganz viel um den Umgang und darum, dass sich die Menschen ernst genommen fühlen“, so ein Teilnehmer.
Für eine gute Lösung braucht es sowohl juristischen Sachverstand als auch ökonomisches Wissen. Dies führt ebenfalls oft zu Problemen. „Der juristische Rahmen ist mittlerweile so komplex, dass selbst Juristen sich fragen, wer diese ganzen Paragrafen überhaupt noch handhaben kann“, so ein Teilnehmer. Dies stellt die Mitglieder, die keine Juristen sind, vor Probleme und es entsteht oft Unsicherheit, ob die angedachten Lösungen tragfähig sind. Juristen wiederum können oft den ökonomischen Sachverhalt nicht ausreichend beurteilen. Ein Teilnehmer des Gesprächs forderte deshalb, dass die Schiedsämter von einer Doppelspitze geführt werden müssten, die aus einem Juristen und einem Ökonomen zusammengesetzt sind.
Ehrenamt auf den Prüfstand
Zunehmende Fälle, zunehmende Aktendicke: die Vorbereitung auf das Verfahren nimmt viel Zeit in Anspruch. Doch die Schiedsstellen werden von ehrenamtlichen Mitarbeitern neben ihrer eigentlichen Tätigkeit betrieben und die Entlohnung ist symbolisch. Dadurch entsteht sowohl eine Verzögerung, bis die Verfahren beginnen, als auch eine ungleiche Verteilung in der Vorbereitung und der Tiefe der Vorbereitung, wie ein Diskutant anmerkte. Ein Teilnehmer wies darauf hin, dass es besser sei, die Parteien schon während der Verhandlungen zu begleiten und nicht erst am Ende zur Lösungsfindung dazuzukommen: „Das ist wie bei einem Nachbarschaftsstreit: Wenn der Zoff erst mal da ist, kriegt man die Leute schwieriger wieder auf den Pfad.“ Doch das sei für ihn schlicht nicht leistbar: „Ich habe einen Stundenlohn von zwei Euro, wenn ich da vorher mit dabei sein soll, kann ich mir das letztlich nicht mehr leisten.“ Er forderte, gut bezahlte Leute einzusetzen, die die Verfahren dann auch mit dem notwenigen Ernst betreiben können.