Durch die Fridays for Future-Bewegung hat das Problem des Klimawandels eine hohe Aufmerksamkeit erlangt und das Ziel, CO2-Emissionen zu reduzieren, ist in der Öffentlichkeit stärker in den Fokus gerückt. Mit dem Krieg in der Ukraine hat das Thema nun eine enorme Beschleunigung erfahren. Denn die Abhängigkeit von russischem Erdgas und seine Verknappung hat zu einer starken Steigerung der Energiekosten geführt, die für alle spürbar ist.
Bisher wenig bekannt ist, dass die Gesundheitsbranche mit 5,2 Prozent einen Spitzenplatz bei den CO2-Emissionen belegt. Also besteht auch und gerade hier die Notwendigkeit zu mehr Nachhaltigkeit. Nicht nur, um durch eine Reduktion der CO2-Emissionen zu einem gesünderen Klima und damit auch zur Gesundheit der Bevölkerung beizutragen. Sondern auch, weil durch höhere Energieeffizienz Kosten eingespart werden können.
Wo die größten Probleme und Potenziale liegen und welche Maßnahmen sinnvoll sind, darüber diskutierten die Teilnehmer des Luncheon Roundtables der Stiftung Münch im April.
Zu den Teilnehmern gehörten:
- Dipl.-Kfm. Friedhelm Beiteke, Referent „Qualitätsmanagement, IT und Datenanalyse“, KGNW
- Fabian Evers, Abteilungsdirektor, Deutsche Apotheker- und Ärztebank eG
- Burkhard Fischer, Referatsleiter „Qualitätsmanagement, IT und Datenanalyse“, KGNW
- Prof. Dr. med. Stefanie Joos, Ärztliche Direktorin, Universitätsklinikum Tübingen
- Prof. Dr. Martin Kreeb, Gründungsrektor der Charlotte Fresenius Privatuniversität of Sustainability i. Gr., Wien
- Markus Loh, Projektleiter, viamedica – Stiftung für gesunde Medizin
- Dr. Markus Müschenich, Managing Partner & Founder, Eternity.Health GmbH
- Dr. Georg Rüter, Geschäftsführer, Franziskus Hospital in Bielefeld
- PD Dr. med. Christian Schulz, Geschäftsführer, KLUG – Deutsche Allianz für Klimawandel und Gesundheit e.V.
- Oliver Wagner, Co-Leiter des Forschungsbereichs Energiepolitik, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH
sowie von der Stiftung Münch Professor Boris Augurzky (Vorstandsvorsitzender), Eugen Münch (Stv. Vorstandsvorsitzender), Professor Andreas Beivers (Leiter wissenschaftliche Projekte) und Annette Kennel (Geschäftsführerin).
Bereits vor 30 Jahren hat Eugen Münch an den Klinikstandorten in Bad Neustadt und Bad Berka erste Brennstoffzellen aufgestellt und betrieben. So konnte der Durchschnittsverbrauch der Energiekosten bezogen auf den Umsatz von sechs Prozent auf 2,5 Prozent reduziert werden. Das Geschäftsmodell der Rhön Klinikum AG wurde also mindestens zur Hälfte von Energieersparnis geprägt. Um den wirtschaftlichen Vorteil weiter zu heben, wollte Münch bereits damals alle bestehenden Krankenhäuser mit Solarzellen versehen. Doch dafür war die Zeit noch nicht reif.
Aktuell entsteht in Bad Kissingen ein Gebäudekomplex mit Wohnungen und Geschäftsräumen mit einer Gesamtnutzfläche von rund 3.900 qm2. Bei diesem Projekt – das Münch privat vorantreibt – werden Solarpaneele auf 40 Prozent der Flächen installiert, die im Peak eine Leistung von 190 kWh erzeugen, 10 kW können gepuffert werden. Die überschüssige Leistung, die nicht in das Stromnetz gespeist werden kann, wird mit speziellen Wasserschichtspeichern und durch die elektrolytische Spaltung von Wasser gespeichert. Das Gebäude ist energetisch völlig autonom, ohne dass es Abstriche in der Nutzungsqualität gibt.
Dieses Ausnahmeprojekt ist sicher noch nicht in der Fläche umsetzbar. Doch, so kommentierte ein Teilnehmer der Runde, fahre ja auch nicht jeder einen Formel-1-Wagen. Aber man profitiere von den Erfahrungen, die man mit der neuen Technik mache und es besteht die Möglichkeit, dass sie durch eine angepasste Weiterentwicklung und Produktion in den Markt kommt. Er verwies auf die Fotovoltaik, die eine so steile Lernkurve wie kaum eine andere Technik vorzuweisen hat. „Diese Entwicklung haben alle Wissenschaftler und Institute kolossal unterschätzt“, sagte er. Innerhalb von 20 Jahren sei der Einstieg in die Massenproduktion gelungen und die Kosten konnten durch Skaleneffekte so reduziert werden, dass die installierte Leistung in die Höhe geschossen sei. Er hielt ähnliche Technologiesprünge insbesondere in der Wasserstofftechnologie für möglich.
„Energie hat nicht nur ökologischen und sozialen, sondern auch einen ökonomischen Wert“
Mittlerweile beginnen in der Krankenhausbranche die Überlegungen, welche Maßnahmen geeignet sind, um Energiekosten einzusparen, weniger CO2 auszustoßen und klimafreundliche Energie zu nutzen. Die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen hat gerade eine Studie veröffentlicht, mit welchen Maßnahmen die Krankenhäuser klimaneutral werden und wie diese finanziert werden können. (https://www.kgnw.de/positionen/klimaneutrales-krankenhaus).
Ein Teilnehmer des Gesprächs erläuterte, dass zwei Drittel der Emissionen der Kliniken auf die eingekauften Zulieferungen zurückzuführen sind und hier ein entsprechend großer Hebel sei. Doch auch die Mitarbeiter und Patienten und deren Transporte tragen zu den Emissionen bei, weshalb auch dafür geeignete Maßnahmen gefunden und umgesetzt werden müssen. Für Einsparungen des Energieverbrauchs und Reduktion der Emissionen gebe es in den Krankenhäusern ein großes Potenzial, betonten mehrere Teilnehmer der Diskussionsrunde.
Die Transformation zum klimaneutralen Krankenhaus sei innerhalb von sieben bis zehn Jahren realistisch machbar, so ein Teilnehmer der Runde. Man müsse den Verantwortlichen zeigen, wie dies technisch möglich und umsetzbar sei und wie Maßnahmen und Finanzierung gestaltet werden können.
„Wir müssen bei den Kliniken die Sanierungsquote deutlich erhöhen, um die Klimaziele zu erreichen“
Um die nötigen Änderungen anzugehen, sind zunächst Investitionen erforderlich – ein heikles Thema bei den Kliniken, die seit Jahrzehnten dramatisch unterinvestiert sind, wie ein Diskussionsteilnehmer betonte. So sind gerade bei den Kliniken häufig schlechte Gebäudesubstanz mit zum Beispiel einfach verglasten Fenstern und veralteten Heizungsanlagen zu finden, durch deren Austausch Energie gespart werden könnte.
Ein Teilnehmer führte aus, dass zum Erreichen der nationalen Klimaziele die Emissionen radikal reduziert werden müssen und – würde man nach den neuesten Veröffentlichungen der IPCC gehen – dies nicht erst bis 2045, sondern in weniger als zehn Jahren. „Das würde bedeuten, dass wir bei den Kliniken die Sanierungsquote deutlich erhöhen müssen.“
Deshalb sei zu Beginn eine Investitionsförderung nötig: „Wenn es sich betriebswirtschaftlich lohnt, dann manchen es irgendwann sowieso alle. Wenn es dagegen nur externe positive volkswirtschaftliche Effekte gibt, die sich nicht im Betrieb internalisieren, dann machen es viele nicht, nur aus „Liebhaberei“. Angeregt wurde deswegen ein „Klimafonds“, um solche Investitionen zu fördern und um die Förderungen zudem einfacher handhabbar zu machen.
Langfristiges Denken muss kurzfristige Renditeziele ersetzen
Investoren für Klimaschutzmaßnahmen zu finden, habe derzeit gute Chancen, zeigte sich ein Gesprächsteilnehmer überzeugt. Durch das Pariser Klimaschutzabkommen ist ein hoher Handlungsdruck und damit ein hoher Investitionsbedarf entstanden. Entsprechend steigt die Möglichkeit für Investoren, mit der Nachhaltigkeitstransformation im Gesundheitswesen Geld zu verdienen. Zudem wollen viele auch ein politisches Statement setzen. „Viele Investoren sind mittlerweile nicht mehr nur geld-, sondern auch visionsgetrieben“, erläutere ein Diskutant, „es gibt eine Win-win-Situation zwischen denen, die auf die Straße gehen und denen, die ein gutes Geschäft machen wollen. Und obendrüber steht gute Gesundheitsversorgung.“ Dies sei eine Idealsituation für spezifische Investmentfonds.
Die Teilnehmer waren sich einig, dass die Diskussion mittlerweile eine andere Konnotation bekommen habe. Rendite würde nicht mehr nur als Maximierung finanzieller Profite begriffen, sondern bedeute auch, Umweltrisiken aus dem System zu nehmen, also zum Beispiel schnell von fossiler auf erneuerbare Energie umzustellen. Es dürfe nicht mehr nur das kurzfristig zu erreichende EBITDA im Vordergrund der Überlegungen stehen, sondern es müsse langfristiger gedacht werden. Dies wäre, so ein Diskutant, auch für Moral und Qualität gut.
„Mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben“
Einige Kliniken sind bereits seit Jahren in Eigeninitiative vorangegangen. Berichtet wurde von einer Universitätsklinik, die begonnen hatte, Ökostrom zu kaufen. Sie ist nun bereits seit zehn Jahren unabhängig von Kohle und Atomstrom – bei einer gleichzeitigen Einsparung von zwei Millionen Euro pro Jahr. Eine andere Klinik konnte durch Investitionen in Solaranlagen auf den gesamten Bettentürmen und Dächern seit 2008 den produzierten Strom in das Netz einspeisen und dafür seit 14 Jahren eine Einspeisevergütung mitnehmen. „Wir erreichen damit einen Return on Investment von 400 Prozent, wenn wir 2028 von der Garantievergütung runter müssen“, erläuterte der Diskussionsteilnehmer. Ein weiteres Potenzial: Die OP-Lüftungen könnten abgeschaltet werden, wenn der OP nicht genutzt wird. An einer Uniklinik wurden so mit einer einmaligen Investition von 1.500 Euro Energiekosten in der Höhe von 3.000 Euro pro OP in jedem Jahr gespart, berichtete ein Gesprächsteilnehmer.
Führung gefragt, Energiemanagement etablieren und in die Hand von Technikern geben
Diese Beispiele zeigen, dass es in den Kliniken große Potenziale gibt und gerade in der Technik große Einsparpotenziale liegen. Bisher ist die Umsetzung abhängig vom Engagement einzelner Personen. „Wenn die Führung sich entscheidet, diesen Weg zu beschreiten, passende Strukturen schafft und sie strategisch verankert, ist dies die zentrale Voraussetzung dafür, die nachfolgenden Maßnahmen umsetzen zu können“, betonte ein Teilnehmer. Mit Kreativität könne man bereits jetzt viel erreichen. Doch wichtig sei es, so waren sich mehrere Diskussionsteilnehmer einig, den Technikern das Wort zu geben und nicht etwa den Chefärzten. Nötig sei zudem, an den Kliniken Energiemanagementsysteme zu implementieren. Diese sind bisher nur selten an Kliniken zu finden.
Ambulanter Sektor: Wichtige Rolle als Multiplikator
Auch der ambulante Sektor beteiligt sich an der Verbesserung von Energieeffizienz und der Reduktion von Emissionen. Derzeit, so ein Diskutant, liege das Durchschnittsalter in der Allgemeinmedizin bei 59 bis 60 Jahren. Er zeigte sich überzeugt, dass durch den anstehenden Generationenwechsel mehr Schwung in das Thema komme. Eine Umfrage habe gezeigt, dass die intrinsische Motivation im ambulanten Sektor vorhanden ist und die Eigenmotivation der Praxisinhaber und ihrer Mitarbeiter der größte Treiber sei. Größte Hürde seien zudem nicht die Kosten, sondern das Problem, dass es oft an passenden Alternativen mangele. Als Beispiel führte er die Abfallentsorgung auf.
Den Schwerpunkt und größten Hebel für einen Beitrag der Arztpraxen auf dem Weg zur Klimaneutralität sahen einige Teilnehmer in deren Rolle als Multiplikatoren für die Patienten in Form positiver Nebeneffekte. Denn die Themen Ernährung und Bewegung seien zentral, betonten sie. Dafür müsse sensibilisiert werden. Das sei zwar kleinteilig, berge aber das größte Potenzial. „Nicht nur das Anessen jedes Kilos Bauchspecks kostet CO2, sondern auch die höhere Energie, die für den Transport erforderlich ist.“ Zudem müssen gesunde Menschen nicht im Krankenhaus behandelt werden – was im Gesundheitswesen wiederum die Energiebilanz positiv beeinflusse.
Digitalisierung kann CO2 sparen
Ein Teilnehmer betonte, dass ein Nudging-System notwendig sei und viel mehr digitale Technologien eingesetzt werden müssten. Videosprechstunden würden allein durch die wegfallenden Wege viel CO2 einsparen und eine elektronische Patientenakte, die unnötige technische Untersuchung erspare, ebenfalls.
Um den Stand der Gesundheitseinrichtungen im Hinblick auf verschiedene Dimensionen der Transformation, beispielsweise hinsichtlich Hitze- oder Krisenresilienz, beschreiben zu können, müssten passende Indikatoren entwickelt werden, so ein Diskutant. Sie wären die Basis für drei Funktionen: Erstens seien sie nötig, um den neuen Gesetzen und Direktiven gerecht zu werden, die ab 2023 in Kraft treten. Zweitens hätten die Einrichtungen so einen Rahmen und wüssten, welche Themen sie adressieren sollten. Drittens, so forderte er, müsste eine Diskussion angeregt werden, die Leistungsvergütung an diese Indikatoren zu koppeln. Geld sollten demnach vor allem die Einrichtungen bekommen, die sich besonders schnell auf den Weg der Transformation machen. „Nur so erreichen wir eine Beschleunigung“, betonte er.
Doch, so ein anderer Teilnehmer, reichen positive Anreize allein offensichtlich nicht aus: „Wir wissen aus vielen Bereichen, dass wir schon weiter wären, wenn das, was ökonomisch sinnvoll ist, auch umgesetzt würde.“ Ordnungsrechtliche Vorgaben sind deshalb nötig. Diese würden bereits vom Gesetzgeber auf den Weg gebracht. Er verwies auf den Koalitionsausschuss, der beschlossen habe, dass der Anteil erneuerbarer Energien bei Heizungen bei 65 Prozent liegen soll. Das Aus der Gasheizungen war für 2025 vorgesehen – dies wurde durch den Krieg in der Ukraine um ein Jahr vorgezogen, was zwar noch nicht in ein Gesetz gegossen, aber von den Koalitionspartnern beschlossen sei. „Das ist ein Beispiel, an dem man sehen kann, wohin der Hase läuft“, sagte er, „und es ist besser, bei den ersten dabei zu sein und jetzt schon umzudenken, als zu denen zu gehören, denen das Abdrehen der Heizung droht.“