Juni 2018
Qualität der medizinischen Versorgung – sie wird immer wichtiger. Doch was genau verstehen wir unter Qualität? Wie kann sie gemessen, wie transparent gemacht werden? Genügt es, dass sie nur in der stationären Versorgung verpflichtend nachgewiesen werden muss? Welche Konsequenzen drohen, wenn Qualität nicht erbracht wird? Soll sich Qualität auch in der Vergütung widerspiegeln – und wie könnte dies angegangen werden? Über diese Fragen diskutierten die Teilnehmer des Luncheon Roundtable-Gesprächs im Juni.
Zu den Teilnehmern gehörten:
- Harald Auner, Leiter Patientensicherheit, Qualitätsmanagement und Hygiene, Rhön-Klinikum AG
- Dr. H. Haeske-Seeberg, Bereichsleiterin Qualitätsmanagement und Klinisches Risikomanagement, Sana Kliniken AG
- Jürgen Malzahn, Abteilungsleiter Stationäre Versorgung, Rehabilitation, AOK Bundesverband
- Dr. Georg Rüter, Vorstandsvorsitzender des Zweckverbandes freigemeinnütziger Krankenhäuser Münsterland und Ostwestfalen
- Dr. Ekkehard Schuler, Leiter Qualitätsmanagement IQM, Helios Kliniken
- Prof. Peter Scriba, Vorsitz Wissenschaftlicher Beirat BÄK, wissenschaftlicher Beirat IQM
- Dr. Christof Veit, Leiter des IQTiG, Berlin
sowie von der Stiftung Münch Eugen Münch (stellv. Vorstandsvorsitzender), Prof. Dr. Bernd Griewing (Vorsitz), Prof. Dr. Boris Augurzky (wiss. Geschäftsführer), Dr. Johannes Gruber (Geschäftsführer, Syndikus) und Annette Kennel.
Die Etablierung der Qualitätsmessung und -kontrolle, die seit der Einführung der DRGs in den Kliniken verpflichtend wurde, sollte auch als Instrument dienen, um darüber die Versorgung der Patienten zu verbessern. Dies hat klar positive Aspekte. Doch wenn zu einfach gestrickte Qualitätsvorgaben auch strategisch genutzt werden, um den Krankenhausmarkt zu konsolidieren, drohe die Gefahr, dass die falschen Kliniken sich durchsetzen, so eine Stimme am Roundtable.
Was ist Qualität?
„Wir kommen von einer ,Professionsqualität‘: Wenn der Arzt sagt, der Chirurg ist gut, dann ist das ein Kriterium für Qualität.“ Das wird nicht so bleiben können. Gängig ist die Unterscheidung in Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität, die sich gegenseitig bedingen. Um also Qualität nachzuweisen, werden bestimmte Geräte vorgehalten, Mitarbeiter mit besonderen Ausbildungen in festgelegter Anzahl beschäftigt und Behandlungserfolge zum Beispiel anhand von erreichten Blutzuckerwerten bis hin zur Häufigkeit von Todesfällen gemessen.
Insbesondere die Strukturqualität muss nach Ansicht einiger Diskussionsteilnehmer kritisch gesehen werden. Denn die reine Vorhaltung bestimmter Ausstattungen oder einer bestimmten Anzahl von Mitarbeitern alleine schafft noch keine Qualität, betonten sie. So besteht die Gefahr, dass die Strukturqualität unnötig Ressourcen binde. Sie könne aber auch falsche Anreize setzen: weil etwa eine Herzchirurgie wirtschaftlich vorteilhaft ist, wird in der Klinik ein Herzkatheterlabor angeschafft. Sie erfüllt damit die Strukturvorgaben; offen bleibt, ob es für die Patienten sinnvoll ist. Hier erwarten sich einige Diskussionsteilnehmer Unterstützung durch politische Maßgaben: „Wenn in einer Gegend die fünfzigste Herzchirurgie etabliert wird, weil das Krankenhaus einen Herzkatheter angeschafft hat, aber nur drei für die Versorgung der Bevölkerung in der Region notwendig wären – dann können wir nichts tun.“
Etwas besser sei in den Augen einiger Teilnehmer, stattdessen die Ergebnisqualität einzuschätzen. Doch auch hier gibt es deutliche Mängel. So liege es auf der Hand, dass die Ergebnisse einer Koloskopie, die zur Prävention bei einem gesunden Menschen durchgeführt wird, deutlich besser seien, als wenn sie bei einer bestehenden Erkrankung durchgeführt wird. Da die Ausgangssituation des Patienten nicht erfasst wird, droht eine Verfälschung der Ergebnisse.
Zudem wird die Qualität immer erst mit dem Beginn der Behandlung erfasst. Nötig sei aber, bereits vor der Behandlung Patientendaten zu erfassen, um die Ergebnisqualität diesbezüglich bewerten zu können. Komplexe Vorerkrankungen bedeuten komplexe Therapie und können das Ergebnis deswegen beeinträchtigen. Keine Vorerkrankungen bedeuten einfachere Therapie und womöglich bessere Ergebnisse. Es ist also eine gute Risikoadjustierung bei der Qualitätsmessung nötig. Dafür braucht es eine solide Datengrundlage. Außerdem könnte damit überprüft werden, ob eine Therapie wirklich gut sei – oder eine alternative Behandlung zielführend ist. Um Ergebnisqualität gut zu messen, sei überdies eine längerfristige Auswertung von Daten erforderlich, wie dies bisher nicht stattfindet. Dafür wäre es zudem notwendig, dass die Daten sektorenübergreifend in die Bewertung einfließen. Auch dies ist momentan nicht der Fall.
Wir dürfen jedoch nicht nur darauf achten, was an Ergebnissen herauskommt, sondern auch was die Medizin zur Behandlung bekommt. Es stellt sich die Frage nach der Indikationsqualität. Die Behandlung von Gesunden bringt gute Ergebnisqualität, aber dürfte kaum ein befriedigendes Ergebnis sein. Qualitätsmessung darf nicht erst dann beginnen, wenn die OP startet. Es geht um den ganzen Prozess. Zweitmeinungsverfahren könnten die Indikationsqualität verbessern. Aber vielleicht ist das schon bald nicht mehr nötig, wenn Künstliche Intelligenz ausgereift ist. Die KI wird zwar nicht den Arzt ersetzen, sie wird aber die Indikationsstellung unterstützen und damit die Indikationsqualität erhöhen. Denn sie besitzt das Wissen von so vielen Ärzten weltweit, dass es künftig seltsam wäre, im Rahmen einer Zweitmeinung nur einen einzigen weiteren Arzt zu befragen.
Ein weiterer Ansatz könnte sein, systemdefinierte Qualität zu erfassen, also die regionale Versorgung als Ganzes zu analysieren und zu bewerten statt einzelne Maßnahmen in den Fokus zu stellen: Wie funktioniert ein System – wie ist die Teilhabe der Patienten? In diesem Punkt habe man Fahrt aufgenommen und es wird von Politik angeschoben, so ein Teilnehmer der Diskussion.
Ziel muss patientenzentrierte Versorgung und langfristige, sektorenübergreifende Messung sein
Die genaue Definition der Ziele, die durch einen Qualitätsnachweis erreicht werden sollen, müsse an erster Stelle stehen, sonst mache eine Festlegung von Maßnahmen keinen Sinn, betonte ein Diskussionsteilnehmer. Vor allem müsse eine patientenzentrierte Versorgung erreicht werden. Entsprechend sollte die Definition als Anreiz dienen zu fragen, was den Patienten eigentlich wichtig ist. Dabei spielen auch „weiche Faktoren“ eine Rolle. Bei der Auswertung von Weiterempfehlungen, die belegen, ob Zufriedenheit mit der Behandlung bestand, steht an erster Stelle die „Beziehungsqualität“, also ein wichtiger Faktor, der zwar schwer messbar ist, jedoch nach Ansicht einiger Teilnehmer der Diskussion ebenfalls eine Rolle spielen muss.
Insgesamt zeigten sich die Teilnehmer überzeugt, dass die Zukunft darin liege, vom Patienten aus zu denken und deren Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen. Auch müsse man akzeptieren, dass Qualitätsziele nicht kurzfristig erreichbar sind. „Die Messung muss langfristig angelegt sein“, betonten mehrere Teilnehmer, „und die gesamten vorhandenen Daten der Krankenkassen sollten einfließen, um sektorenübergreifende Ergebnisse erhalten zu können.“
Qualität darf nicht zum strategischen Instrument werden, mit dem lediglich die eigenen Geschäftsinteressen wahrgenommen werden
Wettbewerb anhand der Qualität und damit eine Stärkung der Kliniken, die eine gute Versorgung bieten, ist ohne Zweifel ein guter Ansatz. Der Wille dazu fand auch seinen Ausdruck im Krankenhausstrukturgesetz (KHSG), in dem 2016 eine stärkere Fokussierung auf Qualität festgeschrieben wurde. Unter anderem sollen Kliniken, die Qualität erbringen, gefördert werden. Kliniken dagegen, die die Vorgaben nicht erreichen, drohen Strafen.
Doch der strategische Einsatz von Qualität birgt auch Gefahren. Zum einen würde zwar durch die Vorgaben des KHSG angekündigt, dass „schlechte“ Kliniken die Leistungen nicht mehr erbringen dürfen. Andererseits wird die Schließung von Abteilungen in diesen Kliniken wiederum politisch verhindert, so dass eine Bereinigung des Marktes nicht stattfindet. Zum anderen würde oft aus wirtschaftlichen Gründen eine neue Abteilung mit den erforderlichen Qualitätsvoraussetzungen eröffnet – auch, wenn diese für die Versorgung nicht nötig sei. Andere eher nötige Abteilungen fehlten dann. „Hier haben wir keine Handhabe, da bräuchten wir eine neue Planungsvorgabe“, forderte ein Teilnehmer.
Die Vorgaben des KHSG zum Thema Qualität wurden in einem weiteren Punkt bemängelt: da ein übergeordnetes, klares Ziel fehle, seien so viele einzelne Maßnahmen daraus entstanden, deren Zusammenführung und Umsetzung weder überschaubar noch leistbar seien. „Es gibt ein Thema wie zum Beispiel Operationen am Rücken und dann 13 Maßnahmen des KHSG drum herum – wie diese einzelnen Maßnahmen aber aufeinander wirken, ist selbst für Fachleute nicht mehr zusammenführbar.“
Qualität darf kein Hinderungsgrund für Innovationen werden
Sind die Vorgaben für die Qualität zu strikt, können sie Innovationen im Wege stehen, warnten mehrere Teilnehmer der Diskussionsrunde. „Ergebnisorientierte Qualität kann durchaus gut sein, aber wenn sie zu starr beurteilt wird, tötet sie das System“, so ein Teilnehmer. Neue Therapieformen bei Krebserkrankungen zum Beispiel müssten getestet werden können. Es sei klar, dass bei solchen neuen Therapieformen die Qualität der Ergebnisse zu Beginn nicht feststehe. Dem setzte ein anderer Teilnehmer entgegen, dass dazu unbedingt erforderlich ist, dass die Patienten darüber auch aufgeklärt sind – und die Klinik sowohl die Behandlung als auch die Ergebnisse detailliert dokumentiert. „Über diese Dokumentationserfordernisse darf dann auch nicht gejammert werden“, betonte er.
„Qualität ist wie die Normung in der Industrie“, so ein Teilnehmer, „Regulatorien fördern aber Bürokratie und damit Buchhalter. Wenn sie Überhand nehmen, haben wir am Ende lauter Auswertungen, aber sonst nichts.“ Es sei deshalb sehr wichtig, dass eines der Qualitätsziele Offenheit für Innovationen sei. In diesem Zusammenhang wurde auch der G-BA im Laufe der Diskussionsrunde kritisch betrachtet. Er sei vielfach ein Bremsklotz, mit dem Innovationen abgeschmettert statt vorangetrieben würden.
Das bisherige System kommt an sein Ende – an seine Stelle tritt eine qualitätsorientierte Vollversorgung mit Gesamtverantwortung in einer Hand
Das DRG-System, so sahen es viele Teilnehmer der Diskussion, neige sich dem Ende zu. An seine Stelle müsse ein qualitätsorientiertes Vergütungssystem treten – statt Menge soll Qualität vergütet werden. Dann spielten Sektorengrenze und mangelnde Indikationsqualität keine Rolle mehr. Die Ambulantisierung der Medizin könnte Fahrt aufnehmen und vor allem gäbe es immer nur einen Verantwortlichen für die Gesundheitsversorgung der Patienten vor Ort. Niemand könne sich aus der Verantwortung schleichen und den schwarzen Peters immerzu weiterreichen.
Es gehe also um ein komplett neues Vergütungssystem, nicht bloß um „Pay for Performance“ als Anhängsel an das DRG-System. Der reine Wettbewerbsgedanke trete damit in den Hintergrund. Insbesondere in ländlichen Regionen ginge es dann um eine regionale Vollversorgung der dortigen Bevölkerung mit klaren Qualitätszielen.
Die Zusammenfassungen der anderen Luncheon-Roundtable-Gespräche finden Sie HIER