Keine der bis dato neun Feiern zur Verleihung des Eugen Münch-Preises fand in einer gesundheitspolitisch derart aufgeladenen und spannenden Atmosphäre statt wie die jüngste Veranstaltung am 21. November in München: Denn tags drauf stand im Bundesrat die Krankenhausreform zur Abstimmung – eine Reform, über die in der Rhön Stiftung viel debattiert, nachgedacht und publiziert wurde und zu der der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Prof. Boris Augurzky, auch Input geliefert hatte in seiner Eigenschaft als Mitglied der 15-köpfigen Krankenhaus-Kommission beim Bundesgesundheitsministerium. In seiner Einführung zur 10. Verleihung des Eugen Münch-Preises erinnerte Prof. Andreas Beivers, der die wissenschaftlichen Projekte der Rhön Stiftung verantwortet, an die hochspannende Situation für das deutsche Gesundheitswesen und verglich die Abstimmung am folgenden Tag mit einem Lotto-Spiel – so ungewiss war der Ausgang. Wie recht Beivers mit seinem Vergleich hatte, zeigte sich keine 24 Stunden später, als das Reformwerk nach maximaler politischer Aufregung (samt Ministerinnenentlassung in der laufenden Beratung) die Länderkammer mit knapper Mehrheit passierte.
Die „stürmischen Zeiten“, von denen Beivers in Bezug auf das Gesundheitssystem sprach, waren auch meteorologisch zu spüren: Vor den Fenstern im sechsten Stock des Bayerischen Hofs wirbelten die Schneeflocken, während drinnen in gediegener Atmosphäre rund 80 hochkarätige Gäste aus allen Bereichen des Gesundheitswesens den Trägern des Eugen Münch-Preises 2024 applaudierten. Das sind: Der Physiker und Bioinformatiker Dr. Carsten Marr, Direktor des Institute of AI for Health am Helmholtz Zentrum München, der in der Kategorie „Wissenschaft und praktische Anwendung“ ausgezeichnet wurde, sowie die drei Gründer des jungen Münchener Unternehmens CertHub, Leon Kobinger, Jonas Bayer und Nicolas Gehring in der Kategorie „bestes Startup im Gesundheitswesen“. Beide Preisträger erhielten je 20.000 Euro und einen gut fünfminütigen Film, der ihre Arbeit vorstellt.
VIELFACH PUBLIZIERT, FREI ZUGÄNGLICH UND EXEMPLARISCH FÜR NOCH MEHR
In seiner Laudatio auf Carsten Marr und dessen Team betonte Juror Prof. Wolfgang Greiner, Gesundheitsökonom an der Universität Bielefeld, den Effizienzeffekt, der von der ausgezeichneten Arbeit ausgehe. Denn Marr und seine Kollegen treiben ein KI-Modell für die automatisierte Diagnose schwerer Bluterkrankungen voran, die in Deutschland jährlich 14.000 Menschen trifft, darunter auch einige hundert Kinder. KI sei nicht nur in der Lage, Diagnosen zu beschleunigen und qualitativ zu verbessern, sondern auch die knappen technischen und menschlichen Ressourcen besser zu nutzen. Das derzeitige mühsame Verfahren in Laboren schreie geradezu nach einem rationelleren Prozess. „Wir als Jury hoffen, dass die Erkenntnisse sehr bald breite Anwendung im Diagnosealltag finden“, sagte Greiner und verwies auf weitere Potenziale: „Diese Arbeit steht exemplarisch für die neuen Möglichkeiten durch KI, weitere Anwendungsfelder drängen sich auf.“ Überzeugend sei für die Jury auch gewesen, dass die Arbeit sehr gut publiziert ist und weltweit zitiert wird. Positiv hervorzuheben sei schließlich, dass Marr und sein rund 15-köpfiges Team ihren Datensatz frei zugänglich für andere Forscher machen. „Davon wurde auch schon Gebrauch gemacht, insofern sehen wir auch einen Effizienzeffekt im Erkenntnisfortschritt“, lobte der Laudator.
„EIN REVOLUTIONÄRES PRODUKT“ MIT POTENZIAL FÜR STARKE EFFEKTE
Effizienz durch KI ist auch der Kern der zweiten ausgezeichneten Leistung in der Kategorie „bestes Startup im Gesundheitswesen“: Die drei Gründer von CertHub entwickelten eine KI-gestützte Software für die automatisierte Abwicklung der extrem bürokratischen Prozesse bei der Zulassung von Medizinprodukten. Laudator Franz Knieps, Vorstand BKK Dachverband e.V., erinnerte deshalb an den Schriftsteller Franz Kafka und dessen Erfahrungen als Mitarbeiter in der Versicherungsbranche. Kafka habe gezeigt, „wie Menschen der Bürokratie hilflos ausgeliefert sind“ – so wie Medizinproduktehersteller heutzutage einem monströsen Zulassungsverfahren ausgeliefert sind. „Sie haben den Eugen Münch-Preis verdient“, rief Franz Knieps den drei Gründern zu, „die Jury fand, dass Ihre Idee und Ihre Produkte revolutionär und beispielgebend sind und vermutlich einen sehr großen Effekt auf das Gesundheitswesen haben werden“. Er hege große Hoffnung, dass ähnliche Software bald auch für die Zulassung von Arzneimitteln entwickelt würde, damit der Kampf gegen den „bürokratischen Irrsinn“ nicht kafkaesk enden müsse.
Dass beide Träger des jüngsten Eugen Münch-Preises auf KI setzen, deuteten Andreas Beivers und Boris Augurzky als Bestätigung der Arbeit der Rhön Stiftung, die in diesem Jahr ihr 10-jähriges Bestehen feiert und als Stiftungszweck ausgibt, der drohenden Rationierung medizinischer Leistungen auch durch technologische Innovationen wie KI zu begegnen. Beivers appellierte an die „Willensgemeinschaft“, wie sie der Rechtsphilosoph Georg Jellinek postuliert hatte, um – ganz im Sinne der Rhön Stiftung – mit den knapper werdenden Ressourcen im Gesundheitssystem verantwortlicher zu haushalten. Dass die „Wünsch-dir-wasZeit“ in der medizinischen Versorgung zu Ende gehe, sehe er durchaus als Chance für einen Neuanfang des Systems, verriet Vorstandsvorsitzender Boris Augurzky den Gästen der Feier: „Die Ideen und Konzepte dafür liegen in den Schubladen; die Unternehmen, die diesen Wandel vorantreiben, stehen in den Startlöchern – siehe unsere aktuellen und früheren Preisträger.“ Wenige Stunden später billigte der Bundesrat das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz, das an diesem Abend noch auf der Kippe stand. Von 1. Januar 2025 an wird es seine Wirkung entfalten.