Preisträger 2019
Die Jury des Eugen Münch-Preises für innovative Gesundheitsversorgung hat vier Gewinner für das Jahr 2019 ausgewählt. In der Kategorie Versorgungsforschung erhält Professor Steffen Fleßa von der Universität Greifswald den mit 20.000 Euro dotierten Preis für seine Arbeit „Economic efficiency versus accessibility: Planing of the hospital landscape in rural regions using a linear model on the example of paediatric and obstetric wards in the northeast of Germany”. In der Kategorie praktische Anwendung hat sich die Jury für zwei Preisträger entschieden: ausgezeichnet wird zum einen der Pflegewissenschaftler Professor Patrick Jahn für das Projekt „FORMAT“. Zum anderen erhält Dr. Franz Pfister den Preis für das Deep-Learning-System „deepc“. Mit einem Sonderpreis ehrt die Jury den Ingenieur Dr. Matthias Gräser für „Human-sized Magnetic Particle Imaging for Brain Applications“.
Die Gewinner wurden unter über 100 Einsendungen von der Jury ausgewählt, der Daniel Bahr (Mitglied des Vorstands der Allianz Private Krankenversicherungs-AG), Fraua Ferlemann (Redakteurin BR, Wissen und Bildung aktuell), Prof. Marion Haubitz (Direktorin der Medizinischen Klinik III am Klinikum Fulda), Dr. Helmut Schönenberger (Geschäftsführer UnternehmerTUM), Dr. Ilona Köster-Steinebach (Geschäftsführerin Aktionsbündnis Patientensicherheit), Prof. Leonie Sundmacher (Leiterin Fachbereich Health Service Management, LMU München) und Staatssekretär Andreas Westerfellhaus (Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung) angehören.
Kategorie Versorgungsforschung
Professor Patrick Jahn für „FORMAT“
Professor Patrick Jahn wird mit seinem Team für das Projekt FORMAT ausgezeichnet. Die Pflegewissenschaftler haben sich zum Ziel gesetzt, Digitalisierung und Robotik zu nutzen, um die Patientenversorgung zu verbessern und das selbstbestimmte Leben in der gewohnten Umgebung zu ermöglichen. Professionelle Pflegekräfte, Ärzte, aber auch Patienten und pflegende Angehörige haben im „Future Care Lab“ die Möglichkeit, neue Technologien kennenzulernen, zu nutzen und in engem Austausch sinnvolle Anwendungen zu definieren. Der Umgang mit den Technologien ist zudem Teil der Ausbildung am Universitätsklinikum Halle. Die verpflichtenden Module müssen gemeinsam von Pflegewissenschafts- und Medizinstudenten belegt werden, was zusätzlich die Rollenverständnisse verändert und die Position der Pflege stärkt. Auch pflegende Angehörige können die Schulungen besuchen. Die Wirksamkeit der Anwendungsszenarien wird wissenschaftlich evaluiert.
Damit werden die Chancen von Digitalisierung und Robotik sowohl für die in den Gesundheitsberufen Tätigen als auch die Betroffenen in der Bevölkerung erlebbar gemacht und schneller realisiert werden. Durch die Integration in die Aus- und Weiterbildung werden das Wissen und die Bekanntheit der technischen Möglichkeiten erhöht und die Akzeptanz gefördert.
Patrick Jahn ist Krankenpfleger und Professor für Pflegewissenschaft am Institut für Gesundheitswissenschaften der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und dort stellvertretender Direktor der Abteilung Pflegewissenschaft. Zuvor war er seit 2010 Leiter der Stabsstelle Pflegeforschung und Leiter der Pflegeexperten am Universitätsklinikum Halle. In seiner Promotion hat er sich mit der Förderung des schmerzbezogenen Selbstmanagements von onkologischen Patienten beschäftigt. Seine Forschungs- und Entwicklungsprojekte sind stets in der Versorgung verankert. An der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg leitet er unter anderem das FORMAT-Projekt, das multimodale Bildungs- und Weiterbildungsangebote zur Erhaltung der Autonomie im Alter entwickelt.
Dr. Franz MJ Pfister für „deepc – Brain Imaging Solution“
Dr. Franz Pfister und sein Team werden für deepc ebenfalls in der Kategorie praktische Anwendung ausgezeichnet. Mit der von ihnen entwickelten Künstlichen Intelligenz können MRT- und CT-Bilder des Gehirns in Echtzeit auf Auffälligkeiten hin analysiert werden. Im Unterschied zu anderen KI-Systemen ist deepc nicht auf ein einzelnes Krankheitsbild beschränkt. Das System lernt, wie „gesunde“ Untersuchungen aussehen und erkennt davon abweichende Aufnahmen, die es – ähnlich der Rechtschreibkontrolle bei einer Textsoftware – markiert. Diese Untersuchungen werden dem Radiologen im Diagnoseprozess entsprechend visuell hervorgehoben. Damit unterstützt deepc bei der Befundung von Aufnahmen und kann dazu beitragen, dass keine Auffälligkeiten übersehen werden. Ab 2020 wird deepc in der Neuroradiologie am Klinikum rechts der Isar eingesetzt und evaluiert, das als Konsortialpartner an der wissenschaftlichen Entwicklung beteiligt ist. Eine Verwendung von deepc für radiologische Aufnahmen anderer Organe ist in Planung.
Dr. Franz MJ Pfister ist Mediziner, Datenwissenschaftler und Unternehmer und gilt als führender Experte an der Schnittstelle zwischen Medizin und KI. Seine akademische Laufbahn umfasst ein Medizinstudium an der Ludwig-Maximilians-Universität (München) und der Harvard Medical School (Boston, USA) mit Promotion im Bereich der Neurowissenschaften. Zusätzlich erwarb er einen Master of Business Administration im Bereich Healthcare Management der Munich Business School und einen Master of Science im Bereich Data Science im Elitestudiengang des Elitenetzwerks Bayern an der LMU München. Franz Pfister leitet derzeit mehrere Initiativen und baut Unternehmen im Bereich medizinischer KI auf, um die Qualität der Patientenversorgung und die Effizienz des Gesundheitssystems zu verbessern. Er ist Mitgründer und CEO des preisgekrönten KI-Startups “deepc“.
Kategorie Versorgungsforschung
Professor Steffen Fleßa für „Economic efficiency versus accessibility: Planing of the hospital landscape in rural regions using a linear model on the example of paediatric and obstetric wards in the northeast of Germany”
Professor Steffen Fleßa und Kollegen haben ein lineares Rechenmodell entwickelt, mit dem grafisch dargestellt werden kann, wie sich die Zusammenlegung von Kliniken oder einzelnen Fachabteilungen auf die wirtschaftliche Situation der Kliniken auf der einen und die Erreichbarkeit für die Bevölkerung auf der anderen Seite auswirken. Damit können verschiedene Optionen und ihre Folgen objektiv und transparent dargestellt werden. Das Modell, das anhand der Standorte der Krankenhausversorgung in der Geburtshilfe und Pädiatrie in der Region Vorpommern-Greifswald entwickelt wurde, ist grundsätzlich auf alle anderen ländlichen Regionen in Deutschland übertragbar. Es bietet die Chance, die oftmals emotional aufgeladene Diskussion um Schließung oder Zusammenlegung von Klinikstandorten oder Fachabteilungen zu objektivieren und Entscheidungen nach Abwägung der verschiedenen Konsequenzen zu treffen.
Professor Steffen Fleßa ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement an der Universität Greifswald. Zuvor war er am Masoka Management Training Institute in Tansania (1990-1995), an der Universität Erlangen-Nürnberg (1995-1998), an der Evangelischen Fachhochschule Nürnberg (1998-2003) und an der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg (2003-2004) tätig. Seine Schwerpunkte sind Krankenhausbetriebslehre, Nonprofit-Organisationen sowie Internationales Gesundheitsmanagement, auch auf Basis von Projekten (u.a. DFG, BMBF, BMG und EU). Professor Fleßa war Studiendekan und Prodekan seiner Fakultät; derzeit ist er Prorektor für Studium und Lehre der Universität Greifswald.
Sonderpreis
Dr.-Ing. Matthias Gräser für „Human-sized Magnetic Particle Imaging (MPI) for Brain Applications”
Für den „Tomografen in der Hosentasche“ hat die Jury den Ingenieur Matthias Gräser mit einem Sonderpreis ausgezeichnet. Mit der Arbeit „Human-sized Magnetic Particle Imaging (MPI) for Brain Applications“ wurde ein neuartiger medizinischer Tomograf entwickelt, mit dem Schlaganfälle detektiert und die Patienten nach der Therapie überwacht werden können. Er kann direkt auf der Intensivstation montiert und zum Patienten gebracht werden, so dass riskante Patiententransporte nicht erforderlich sind. Basis des Tomografen bildet ein tracerbasiertes Abbildungsverfahren, bei dem die Konzentration von superparamagnetischen Eisenoxid (SPIO)- Nanopartikeln gemessen wird. Diese werden dem Patienten intravenös verabreicht und ermöglichen die Darstellung des Gefäßsystems und der Organperfusion. In einem präklinischen Umfeld hat sich MPI bereits als sehr schnell erwiesen, zeigt eine gute räumliche Auflösung von unter einem Millimeter und ist hochempfindlich. Auch ischämische Schlaganfälle kann das MPI mit hoher Empfindlichkeit und hoher zeitlicher Auflösung im Mausmodell detektieren, wie präklinische Studien zeigen.
Das Haupthindernis für den Übergang von einer präklinischen Umgebung zur klinischen Anwendung und die Anwendung von MPI im menschlichen Maßstab war das Fehlen eines Bildgeräts, das groß genug ist, um den menschlichen Körper (ähnlich wie beim MRT oder CT) aufzunehmen. Gräser und Kollegen ist es gelungen, ein solches Gerät zu entwickeln. Es ist mit geringen technischen Anforderungen im klinischen Umfeld schnell und flexibel einsatzfähig. Damit können die häufig auftretenden Komplikationen nach einem Schlaganfall frühzeitiger erkannt und die Behandlung der Patienten verbessert werden.
Matthias Gräser studierte Mechatronik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Danach war er am Institut für Medizintechnik (IMT) der Universität Lübeck IMT als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt Magnetic Particle Imaging Technology (MAPIT) tätig, wo er auch promovierte. Seit 2017 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Biomedizinische Bildgebung (IBI) der Technischen Universität Hamburg und des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf. Hier entwickelt er Konzepte für Magnetic-Particle-Imaging (MPI) Geräte. Sein Hauptziel ist die Erweiterung der MPI-Instrumentierung für den menschlichen Gebrauch, die Verbesserung der Empfindlichkeit der Bildgeräte und die Erforschung von Anwendungsmöglichkeiten der MPI-Technologie.