11. Februar 2016
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung u.a. der Ärzte, Krankenkassen und Krankenhäuser – seine Beschlüsse wirken sich unmittelbar auf die mehr als 70 Millionen gesetzlichen Versicherten hierzulande aus. Aus dieser Machtposition heraus leiten sich viele Fragen ab: Ist er hinreichend legitimiert? Kann er in seiner derzeitigen Form noch all seinen Aufgaben gerecht werden? Schafft er einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Patienten auf der einen und denen der Beitragszahler auf der anderen Seite? Oder sind Veränderungen erforderlich – und wenn ja, wie könnte der G-BA weiterentwickelt werden? Darüber diskutierten die Teilnehmer des ersten Luncheon Roundtables des Jahres 2016.
An der Gesprächsrunde waren beteiligt:
- Kim-Björn Becker, Redakteur Innen- und Gesundheitspolitik, Süddeutsche Zeitung
- Dr. Stefan Etgeton, Senior Expert Bertelsmann-Stiftung
- Dr. Johannes Gruber, Partner Seufert Rechtsanwälte
- Prof. Justus Haucap, Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Heinrich Heine Universität, Düsseldorf, Gründungsdirektor des Düsseldorfer Institute for Competition Economics (kurzfristig verhindert)
- Dr. Rainer Hess, Kanzlei für Gesundheitsrecht, ehem. Vorsitzender des G-BA
- Dr. Rudolf Kösters, ehem. Präsident der DKG, Vorstandsvorsitzender der Kosmos und Damian GmbH
- Dr. Wulf-Dietrich Leber, Abteilungsleiter Krankenhäuser des GKV-Spitzenverbands, Mitglied des G-BA
sowie von der Stiftung Münch:
- Stephan Holzinger, Vorstandsvorsitzender
- Eugen Münch, stellv. Vorstandsvorsitzender
- Dr. Boris Augurzky, wissenschaftlicher Geschäftsführer
- Annette Kennel, Referentin Öffentlichkeitsarbeit
Den G-BA kann es in seiner Art nur in Deutschland geben – was an unserem selbstverwalteten Gesundheitssystem liegt, einer deutschen Besonderheit, deren Wurzeln bis ins deutsche Kaiserreich zurückreichen. Die verschiedenen Zweige der Selbstverwaltung, die jeweils für ihre Versorgungsverträge zuständig sind, bestimmen in diesem Gremium gemeinsam die Richtlinien des Gesundheitssystems und befinden über den Katalog der Leistungen für gesetzlich Versicherte. „Der G-BA kann nicht anders gebildet werden, weil er die Spitze des Systems ist und genau dieses abbildet“, so fasste es ein Teilnehmer zusammen. Eine Änderung des G-BA würde demnach eine Änderung des Systems voraussetzen.
Der G-BA ist strukturkonservativ und nicht geeignet, um Innovationen anzustoßen
Die Teilnehmer waren sich im Prinzip einig, dass der G-BA nicht geeignet ist, um Innovationen anzustoßen. Vielmehr ist der G-BA derzeit der strukturelle Förderer und Kontrolleur von Innovationen. „Der G-BA ist strukturkonservativ. Veränderungen müssen von anderer Stelle kommen; das Gesundheitssystem muss von sich aus ein hohes Interesse an Veränderung haben“, war ein Teilnehmer überzeugt. Dennoch sei der G-BA Innovationen gegenüber durchaus offen, wenn es dazu auch oft der Hilfe des Gesetzgebers bedürfe. So seien durch die Einführung öffentlicher Sitzungen und auch die Beteiligung von Patientenvertretern mehr Transparenz und deutliche Verbesserungen entstanden.
Doch sollte eine Innovation einem Selbstverwaltungspartner Nachteile bringen, kann er versuchen, sie in seinem Interesse zu blockieren. Denn die Stimmenverteilung im GBA erlaubt Blockbildungen – ein
klassisches Szenario für tauschhandelähnliches Abstimmungsverhalten. Berufsgruppenegoismen wiegen dann höher als das Interesse der Patienten und Beitragszahler.
Und „die Welt des G-BA hat sich gewandelt, seit es den GKV-Spitzenverband gibt“: seitdem würden nicht mehr einzelne Kassen mit unterschiedlichen Interessen im G-BA verhandeln, sondern stets der Spitzenverband als Ganzes, der zu jedem Thema eine einheitliche Meinung vertrete. Damit sei ein Ungleichgewicht entstanden – es gebe einen Block der GKV, der gegen den Block der heterogenen Leistungserbringer steht. Daran seien schon viele Entscheidungen gescheitert. „Um wieder mehr Vielfalt zu bekommen, würde ich den GKV-Bereich wieder auflockern. Auch wenn dies eine Auflösung des Spitzenverbandes bedeuten könne“, so ein Teilnehmer. Generell gelte aber, dass „der Ausschuss versagt, wenn es bei bestimmten Themen keine verschiedenen Pole mehr gibt“. Wird eine Absprache vermutet, sollte
der Staat von der Delegation der Steuerung und Verwaltung auf diese Körperschaft abweichen und eine übergeordnete, neutrale Aufsicht einschalten.
Problem der sektorenübergreifenden Entscheidungen
Viele Entscheidungen würden im G-BA zwar durchaus schnell und mit großer Einigkeit getroffen. Problematisch seien jedoch die sektorenübergreifenden Entscheidungen – eine Kernfrage im Gesundheitssystem. Denn da das Gesundheitssystem komplexer und Gesundheitsleistungen integrierter werden, sind zunehmend sektorenübergreifende Entscheidungen erforderlich. Als Beispiel wurde die Qualitätssicherung genannt, wo die Anforderungen im Sinne der Patienten immer höher werden. Der G-BA ist diesbezüglich jedoch nur für den stationären Bereich zuständig. „Die Qualitätssicherung im ambulanten Bereich liegt derzeit dagegen allein bei der KBV. Sie müsste aber mit dem stationären Bereich gekoppelt werden und daher auch beim G-BA liegen“, forderten mehrere Teilnehmer.
Um eine Zustimmung des G-BA zur Einführung einer Innovation zu erhalten, bedarf es des Nachweises der Evidenz. Unbeschadet dessen gibt es aber die Möglichkeit, eine Leistung vorab durch Selektivverträge mit einer Kasse einem Teil der Patienten anzubieten. „Aber diese Bröselchen führen dazu, dass es schwer wird, die für die Evidenz erforderliche Anzahl an Behandlungen zu erreichen“, wurde betont. Doch es würden in der Summe durchaus viele Leistungen genehmigt und der G-BA spreche nur selten Untersagungen aus. Diese seien jedoch oft schwerwiegend. Sie gelten – im Gegensatz zu den Genehmigungen – zum Beispiel auch für die privat versicherten Patienten. Einige Teilnehmer forderten deshalb eine Quotierung für Untersagungen, etwa eine Zwei-Drittel Mehrheit. Allerdings würde in diesem Fall die Berufsfreiheit höher gewichtet als der Patientenschutz, kritisierte ein weiterer Teilnehmer. Wäre dann eine gerichtliche Entscheidung erforderlich, gäbe es Probleme, da hier der Patientenschutz eine höhere Bedeutung habe.
Marktteilnehmer gestalten ihre eigene Regulierung – Gefahr von Partikularinteressen vor Gemeinwohl
„Der G-BA ist eine ständische Organisation. Allein diese Tatsache bedeutet, dass er ständisch erhalten wird“ – so ein Teilnehmer. Es gäbe aber grundsätzlich nur zwei relevante Interessensgruppen: diejenigen, die zahlen (Beitragszahler) und die, die die Leistungen annehmen (Patienten). Der G-BA bildet jedoch nicht diese Kosten-Nutzen-Relation ab (Beitragszahler – Patienten), sondern die Relation zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern. Deshalb stehen die Interessen der Leistungserbringer besonders im Fokus. Sie werden durch die Interessen der Beitragszahler, der gesetzlichen Krankenversicherungen, in Schach gehalten. Die Frage sei aber, ob der G-BA in dieser Form überhaupt richtig ausgerichtet ist.
Ein Diskutant stellte die Frage, wieso überhaupt Leistungserbringer im G-BA beteiligt seien. Er könne sich vorstellen, dass Stimmen der Beitragszahler auf der einen und Stimmen der Patienten auf der anderen Seite vergeben werden.
Der G-BA könnte hingegen stärker die Aufgabe eines Marktregulierers übernehmen und vor allem Regeln festlegen, nach denen der Wettbewerb der Marktteilnehmer funktionieren soll. Allerdings sitzen die Marktteilnehmer selbst in der „Regulierungsbehörde“, was einen Widerspruch darstellt und zu einem übermäßigen Bestandsschutz führt. So sei die Einführung neuer Leistungen oft ein Problem. „Nehmen sie etwa die Schwerionen-Therapie – kein Radiologe spricht sich dafür aus, da es für ihn bedeuten kann, dass er Patienten und Einnahmen verliert.“ Eine Lösung könnte sein, dass bei Regulierungsfragen, die einen konkreten Marktteilnehmer betreffen, dieser kein Stimmrecht habe. Alternativ wurde vorgeschlagen, das Stimmrecht neu zu verteilen und den Unparteiischen fünf Stimmen, den Vertretern der Stände drei Stimmen zu geben. Dabei wurde eingewendet, dass es so zu einer Politisierung des Gremiums kommen könne.
Aufgabenfülle und Macht
Die Zusammensetzung, zunehmende Zuständigkeiten und Regulierung von Detailfragen führen schließlich dazu, dass Entscheidungen zu lange dauern und durch die Einzelinteressen der Berufsstände geprägt sind, statt sich am Wohl der Patienten zu orientieren. Eine der neu beim G-BA angesiedelten Aufgaben ist der Innovationsausschuss. Dieser wurde grundsätzlich begrüßt, allerdings befürchtete ein Teilnehmer, dass damit die Innovation in die Struktur eingebettet sei – und nicht umgekehrt.
Auch rechtlich wird die Aufgabenfülle des G-BA mittlerweile kritisch beurteilt. So darf der G-BA nicht in die Rechte unbeteiligter Institutionen eingreifen, die außerhalb der Selbstverwaltungspartner liegen. Damit könnte es zum Beispiel problematisch sein, dass die vom G-BA aufgestellten Richtlinien in die Landeskrankenhausplanung eingreifen – hier werden die Kompetenzen der Länder berührt. Dies ist einer der Punkte, die vom Bundesverfassungsgericht angemahnt werden könnten. „In dem Fall wäre dann eine zusätzliche Kontrolle, etwa in Form einer Fachaufsicht, erforderlich“, erläuterte ein Diskutant.
Die Stiftung Münch wird sich weiter mit dem Thema des G-BA auseinandersetzen. In einer guten Marktregulierung könnte der Schlüssel zu einer effizienten Weiterentwicklung des Gesundheitswesens liegen.
Ziel der Luncheon Roundtable Gespräche ist eine offene Diskussion über völlig neue Formen der Medizin im digitalen Zeitalter. Experten aus verschiedenen Branchen kommen zusammen, um ihre Erfahrungen auszutauschen. Chancen und Risiken von Ansätzen zum Aufbau einer digital vernetzten Medizin werden offen und intensiv diskutiert und persönliche Erfahrungen u.a. über den Umgang mit Widerständen ausgetauscht. Die Erkenntnisse aus den Roundtable Gesprächen werden in regelmäßigen Abständen veröffentlicht und fließen in die weitere Arbeit der Stiftung ein.