Die medizinische Versorgung der Patienten in ländlichen Regionen steht vor besonderen Herausforderungen. Nicht nur, dass es immer schwieriger wird, Arztpraxen nachzubesetzen, auch Kliniken werden sich weiter konzentrieren und Schwerpunkte bilden, um die Kompetenzen zu bündeln und die zunehmende Spezialisierung der Medizin abbilden zu können. Das kann für die Patienten weitere Wege bedeuten – beim geplanten Arztbesuch, bei der Besorgung von Medikamenten oder auch im Notfall.
Gerade im Notfall muss die Zeit bis zum Eintreffen von Hilfe kurzgehalten werden. Angestrebt werden deutschlandweit zwölf bis 15 Minuten. Doch eine aktuelle Studie des Institut der deutschen Wirtschaft vom Juli 2021 zeigt, dass es regional große Unterschiede gibt und in einigen Regionen im Osten die Zeit deutlich überschritten wird.[1]
Können Drohnen und Flugtaxis eine Lösung sein, um die medizinische Versorgung aufrecht zu erhalten und dazu beitragen, dass insbesondere im Notfall schnell Hilfe kommt? Darüber diskutierten die Teilnehmer des Luncheon Roundtables der Stiftung Münch im Juni.
Zu den Teilnehmern gehörten:
- Frédéric Bruder, Geschäftsführer der ADAC Luftrettung
- Dr. Mathias Borsch, Referent am Bundesministerium der Verteidigung
- Prof. Peter Dahmann, Dekan FB Luft- und Raumfahrttechnik an der FH Aachen
- Robert Friebe, Referent für Digitalisierung, Cybersicherheit und UAV im Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie e.V.
- Tim Fischer, Geschäftsführer der DiAvEn UG
- Dr. Dennis Göbel, Vorstand der Stiftung Kreuznacher Diakonie
- Prof. Patrick Jahn, Professur für Versorgungsforschung, Universitätsmedizin Halle, Forschungsprojekt „ADApp – Apotheken-Drohnen-App“
- Ansgar Kadura, Co-Founder & Chief Services Officer der Wingcopter GmbH
- Dr. Daniel Riedel, Referatsleiter IVD2 im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
- Dr. Bianca Schuchardt, Leiterin des Projekts HorizonUAM am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.
sowie von der Stiftung Münch Professor Boris Augurzky (Vorstandsvorsitzender), Eugen Münch (stv. Vorstandsvorsitzender), Dr. Johannes Gruber (Geschäftsführer, Syndikus), Annette Kennel (Operative Geschäftsführerin) und Professor Andreas Beivers (Leiter wissenschaftliche Projekte).
Digitalisierungsministerin Doro Bär erntete im Jahr 2018 viel Spott, als sie forderte, visionäre Ideen wie zum Beispiel den Einsatz von Flugtaxis zu verfolgen. Doch was nach Science Fiction klingt, ist bereits in der Realität angekommen, erste Flugtaxis sind in der Entwicklungs- und Testphase. Die Bundesregierung hat im Mai 2020 einen Aktionsplan zur „Förderung unbemannter Luftfahrtsysteme und innovativer Luftfahrtkonzepte“ ins Leben gerufen[2]. Explizit aufgeführt ist als ein Unterpunkt der Einsatz von Flugtaxis für die Personenbeförderung und als möglicher Notarztzubringer in der Luftrettung. Mittlerweile gibt es in Deutschland rund 40 geförderte Projekte, darunter neun mit medizinischem Kontext.
Beispiele für den Einsatz von „unmanned aviation vehicles“ (UAVs) finden sich momentan vor allem beim Transport von medizinischen Gütern. In Frankfurt wurde etwa 2014 der Transport von Blutkonserven zu einer Klinik mit Drohnen eingeführt, um die Zeitverzögerungen durch Staus zu vermeiden[3]. In Halle an der Saale läuft derzeit ein Projekt, bei dem Drohnen den Patienten auf dem Land ihre Medikamente liefern[4] während der Pandemie für Menschen in häuslicher Isolation.
Doch auch der Transport von Menschen mit Drohnen oder Flugtaxis wird real werden, zeigten sich die Teilnehmer der Diskussion überzeugt: „Autonom fliegende Geräte werden schneller kommen als autonom fahrende Autos“, so ein Diskutant, „einfach, weil es am Himmel nicht die Fahrradfahrer gibt, die kreuz und quer fahren.“ Damit dies so bleibe, werde bereits der Luftraum entsprechend geordnet.
Für den Transport von Menschen gibt es verschiedene Szenarien: Es kann der Arzt zum Patienten gebracht werden und vor Ort Hilfe leisten. Der Patient kann dann mit dem Rettungswagen zum Krankenhaus gebracht werden oder mit einem Rettungshubschrauber, der aber gezielt angefordert wird. Damit könnte die Notfallversorgung wesentlich effizienter werden, denn bisher, so ein Teilnehmer, würden die teuren Rettungshubschraubereinsätze zu 60 bis 70% lediglich dazu dienen, den Arzt zum Unfallort zu bringen.
Dieses Szenario ist keine Utopie mehr: die ADAC Luftrettung hat eine Studie abgeschlossen und startet mit einem Pilotprojekt, bei dem ein „Volocopter“ zum Transport des Arztes verwendet wird.[5]
Denkbar ist auch der Transport des Patienten mit einem „Flugtaxi“ in eine Klinik oder zum Arzt. In diesem Fall muss noch darüber nachgedacht werden, ob eine Begleitung nötig ist, und es muss zwischen Notfall und dem lediglichen Aufsuchen eines Arztes unterschieden werden. Außerdem muss geregelt werden, wie die Personen in das UAV einchecken.
Wie könnten UAVs eingeführt werden?
Um die UAVs sinnvoll einsetzen zu können, ist die Akzeptanz der Bevölkerung erforderlich. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass sie für einen Einsatz von Drohnen und Flugtaxis im medizinischen Notfall besonders hoch ist. Die Akzeptanzstudie der European Union Aviation Safety Agency (EASA)[6] kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass explizit erste Anwendungs- und Beispielfälle etabliert werden müssen, um die Akzeptanz weiter zu steigern und dann langfristig Lufttaxiservices etablieren zu können. Positiv auf die Akzeptanz kann sich auch auswirken, dass die neuen UAVs leise sind und damit die Lärmbelastung reduziert wird, die zum Beispiel durch Rettungshubschrauber oder Sirenen des Rettungswagens entstehen. „Lärm ist ein großer Faktor, der als Umweltverschmutzung wahrgenommen wird“, sagte ein Diskutant.
Im militärischen Bereich ist man mit dem Einsatz von Drohnen und UAVs für den Personentransport schon viel weiter. „Das ist aus der Notwenigkeit geboren“, betonte ein Teilnehmer. Den in anderen Ländern und unter erschwerten Bedingungen eines Militäreinsatzes ist der Bodentransport oft nur sehr verzögert möglich. Und auch hier steigt die Akzeptanz mit der eigenen Betroffenheit und mit der Einsatzdauer. Grundsätzlich sei es immer eine Güterabwägung: „Wenn im Notfall die Dauer sehr hoch ist, bis die Bodenrettung kommt, nimmt man das Risiko der etwas höheren Gefahr der Luftrettung anders wahr, als wenn es sich um ein Lufttaxi als Zubringer zu einer ambulanten Versorgung handelt“, erläuterte er.
„Technisch ist das alles kein Hexenwerk“: Was ist möglich?
Die Entwicklung der Drohnentechnologie steht noch am Anfang. „Nur der Volocopter hat die EASA-Zulassung auf der allerersten Stufe, aber wir haben kein einziges zugelassenes System. Und keines kann bisher Liegendtransport“, unterstrich ein Teilnehmer der Runde. Er verwies darauf, dass die Zulassungsprozesse für neue Flugzeuge 30 Jahre betragen und für die neuen Systeme wohl ähnlich lange sein werden. Doch grundsätzlich sei die technische Entwicklung kein Hexenwerk, wie andere Gesprächspartner bemerkten.
Am Antrieb muss noch gearbeitet werden. Zum Einsatz kommen Lithiumbatterien und Elektroantrieb, auch Hybridmodelle sind in der Entstehung. Dann allerdings werden die Systeme größer und schwerer, was sich negativ auf die Reichweite auswirke. Mit einem Elektroantrieb kann man derzeit nur 20 bis 25 Minuten fliegen. „Damit kommt man zwar vielleicht zum Patienten, aber der Rückweg kann ein Problem werden“, so ein Teilnehmer. Ein anderer Diskutant unterstrich, dass man erst festlegen muss, für welchen Zweck man ein UAV benötigt. Danach kann geprüft werden, welcher Antrieb passt. Denn die Anforderungen an die Reichweite können unterschiedlich sein je nachdem, für welches Szenario man das UAV einsetzen will. Die eine Antriebsart schließe die andere nicht aus, man solle beide entwickeln.
Hindernis Zulassung?
Die neue europäische Drohnenverordnung macht vieles möglich, zeigten sich einige Teilnehmer des Gesprächs überzeugt: „Wir sind weiter, als man denkt, gerade bei Drohnen.“ Die Verordnung beinhaltet ein abgestuftes Regelungssystem mit einem „Safety and integrity level“[7], mit dem das Risiko ermittelt und das Szenarium bestimmt wird, in dem man fliegen kann. Mit Stufe 2 könne man schon außerhalb von Ortschaften fliegen, und dieser Level sei leicht zu erreichen. Das höchste Level 6 wäre zum Beispiel für eine Großstadt nötig und entspricht einer richtigen Voll-Zulassung.
Probleme entstehen bei der Zulassung eher auf der Bundes-, Landes- oder Kreisebene im administrativen Bereich. Die einzelnen Beamten haben wenig Erfahrung und es herrscht eine hohe Unsicherheit. „Wenn jemand die Nutzung freischaltet und dann passiert etwas, muss derjenige den Kopf hinhalten. Das schreckt natürlich ab“, so ein Diskutant. Sein Fazit: „Regulatorisch sind wir weiter, wir müssen im Vollzug besser werden.“ Dies werde sich ändern, wenn mehr Erfahrungen gemacht wurden.
Testen unter realen Bedingungen statt im Labor
Ist ein neues UAV für einen bestimmten Einsatz entwickelt, muss es getestet werden. Dies ist nicht nur notwendig, um die Funktionalität nachzuweisen, sondern auch, um die Akzeptanz der Bevölkerung zu erhöhen. Dabei, so betonte ein Teilnehmer der Runde, sei besonders wichtig, dass die Tests unter realen Bedingungen stattfinden können. Hier sehe er Mangel. Denn während Förderung für die Basisforschung zwar vorhanden sei, würde es für die tatsächliche Anwendung schwierig.
Um die Möglichkeit von Tests zu schaffen, hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ein nationales Erprobungszentrum für unbemannte Luftfahrt in Kochstedt errichtet.[8] Damit, so erläuterte ein Teilnehmer, wurde ein geschützter Raum geschaffen, in dem Modellversuche mit regulatorischer Absicherung möglich sind. Auch die EASA ist präsent. Doch ein Diskutant wertete das als „zu sehr Labor, zu wenig real“: „Es ist ein toller erster Schritt, aber wir brauchen Ausnahmeregelungen, um draußen testen zu können.“