Eine gute Portion Hoffnung, aber auch viele unbeantwortete Fragen – so lässt sich die Diskussion über die Level1i-Krankenhäuser zusammenfassen, zu der die Rhön Stiftung im Rahmen ihres Formats Luncheon Roundtable namhafte Experten einlud. Eineinhalb Stunden lang tauschten sie sich online darüber aus, was sie vom neuen Kliniktypus halten und erwarten, der im Zuge der Krankenhausreform aus der Taufe gehoben wurde: Die Häuser sollen einerseits Klinikstandorten eine Perspektive eröffnen, die wegen der erwarteten Reduzierung der Standortzahl geschlossen werden könnten; zum anderen – und vor allem – sollen die Level1i-Häuser der dringend gebotenen, sektorenübergreifenden Versorgung frischen Schwung verleihen. Die Rolle der niedergelassenen Ärzte und ihrer Verbände beim Umbau der Versorgungsstrukturen wurde zum Teil kritisch kommentiert. Einigkeit herrschte darüber, dass der Umbau nur gelinge, wenn ambulanter und stationärer Sektor gemeinsam agierten. Viel Zuspruch erhielt der Ruf nach einer Regionalisierung der Versorgung und nach einer besseren Patientensteuerung.
Teilnehmer der online-Runde waren:
- Prof. Dr. Mark Dominik Alscher, Medizinischer Geschäftsführer des Robert Bosch Krankenhauses und Geschäftsführer des Bosch Health Campus
- Sandra Postel, Präsidentin der Pflegekammer Nordrhein-Westfalen
- Dr. Andreas Bartels, stellv. Vorstandsvorsitzender der KV Rheinland-Pfalz
- Dr. Joachim Bläse, Landrat des Ostalbkreises
- Irmtraud Gürkan, u.a. stellv. Aufsichtsratsvorsitzende der Charité und des Stiftungsausschusses der Universitätsmedizin Göttingen
- Heidemarie Haeske-Seeberg, Leiterin der Stabsstelle Qualitätsnetzwerke, Sana Klinken AG und Vorsitzende der Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Gesundheitsversorgung e.V. (GQMG)
- Matthias Mohrmann, Mitglied des Vorstandes der AOK Rheinland/Hamburg
- Dr. Nadja Moreno, Abteilungsleiterin Sicherstellung bei der KV Rheinland-Pfalz
sowie von der Rhön Stiftung Stifter Eugen Münch, Vorstandsvorsitzender Boris Augurzky, Vorstand Bernd Griewing, Geschäftsführerin Annette Kennel und als Moderator der Diskussion Andreas Beivers, Leiter wissenschaftliche Projekte.
Allgemein wird damit gerechnet, dass durch die Krankenhausreform etwa 400 vor allem kleinere Häuser sowohl in städtischen als auch ländlichen Regionen wirtschaftlich so unter Druck geraten, dass sie vom Netz gehen müssen – und deshalb die Transformation zu einem Level1i-Haus prüfen könnten. Dabei sind verschiedene Ausprägungen mit und ohne Betten denkbar von der pflegerischen Einrichtung über die Abverlegungsklinik bis zum MVZ. Alle Teilnehmer bekräftigten, dass die Zahl jener Patienten zunehme, für die weder die stationäre Unterbringung in einem Krankenhaus noch ambulante medizinische Hilfe in einer Praxis die adäquate Versorgung sei. Immer mehr dieser mehrheitlich älteren bis hochbetagten Patienten benötigten Hilfe in einem Zwischenbereich, den es in der deutschen Versorgungslandschaft allenfalls in Modellversuchen gibt.
Können die Level1i-Häuser dafür eine Lösung sein?
Stationäre und ambulante „Denke“ sind nicht hilfreich
Da der Impuls für die Level1i-Häuser durch das KHVVG kam, merkten Teilnehmer der Runde kritisch an, die Einrichtungen seien „zu stark vom stationären Sektor her gedacht“, allein unter Kostengesichtspunkten sei dies der falsche Weg. Warum, so fragte einer der Experten, habe man „nie überlegt, den niedergelassenen Ärzten solche Möglichkeiten der kurzstationären Behandlung einzuräumen“ – also einen Patienten etwa zur Überwachung nach einer OP für eine oder zwei Nächte in einer kleinen Station zu behalten, u.U. in Kooperation mit einer Pflegeeinrichtung. Das wäre „ambulanter gedacht als die Version, Krankenhäuser in ambulante Einrichtungen umzumodeln.“ Zudem: Kein Hausarzt würde sich mehr dort niederlassen, wo eine solche Einrichtung stehe, so könnten die Versorgungslücken auf dem Land sogar noch größer werden; und Fachärzte würden sofort klagen, wenn ein Level1i-Haus ohne die Feststellung einer fachärztlichen Unterversorgung seine Dienste anbiete: „Für den Facharzt wäre das unter Umständen das Todesurteil.“ Auf die umgekehrte Abhängigkeit wies ein anderer Teilnehmer hin: „Wenn die Niedergelassenen sich verweigern und nicht einweisen, haben es die Level1i-Häuser sehr sehr schwer.“
Aber auch aus rein medizinischer Sicht seien Fragen offen, steuerte ein Teilnehmer bei: „Was ist, wenn der Arzt in einem Level1i-Haus eine basischirurgische OP ausführt und im Prozess feststellt, dass er oder sie das wegen der Leistungsgruppe gar nicht darf?“ Das gleiche Problem stelle sich, wenn ein Patient nach der OP in einem größeren Krankenhaus zur Überwachung in eine Level1i-Klinik komme und dann Komplikation auftauchten: „Kann und darf der Arzt das dann behandeln oder muss er den Patienten zurückverlegen.“
Noch nicht gelöst: Notfallversorgung und Patientensteuerung
Strittig blieb auch, ob die Häuser eine Notfallversorgung haben sollten. Ein Teilnehmer meinte, das sei wirtschaftlich keinesfalls darstellbar: „Wenn schon 200-Betten-Häuser wirtschaftliche Probleme haben, wie soll dann erst ein Level1i-Haus mit einer Notfallversorgung wirtschaftlich bestehen können?“ Ein Diskutant argumentierte pro Notfallaufnahme: „Die Level1i-Häuser müssten Einrichtungen sein, die als Ort so prominent sind wie früher die Kirche und der Marktplatz einer Stadt, wohin jeder geht, wann immer er oder sie medizinische Hilfe braucht – ob im lebensbedrohlichen Notfall oder wegen einer Warzenbehandlung“; dies setze allerdings eine kluge, möglicherweise KI-gestützte Patientensteuerung mit eindeutiger Zugangshierarchie voraus, so dass jene rund 30 Prozent Fehlsteuerungen in den stationären Sektor vermieden würden, unter denen das gesamte Gesundheitssystem seit langem leidet. Es gebe auch durchaus Ideen für eine ausgeklügelte Rechtsform (eine Mischung aus Genossenschaft und Partnergesellschaft), die für niedergelassene Ärzte so attraktiv sei, dass sie ein solches Leistungsangebot in die Versorgung einbringen würden.
Keiner der Diskutanten bei diesem Luncheon Roundtable widersprach der Aussage, dass eine bessere Führung der Patienten das A und O jeder sektorenübergreifenden Versorgung sein müsse, ob durch die Rufnummer 116117, eine App oder jede andere Hilfe, „am besten verknüpft mit der ePA“: „Es darf kein Patient mehr ungesteuert in ein Krankenhaus oder in eine Bereitschaftspraxis gehen, das kann auf Dauer nicht gutgehen.“ Einer berichtete aus der Praxis, dass dort ein Notfallplatz tagsüber mit vier Notfällen belegt sei, „die Leute stehen auf den Fluren und in den Gängen, da wird mit den Füßen abgestimmt“. Für die nächste Legislaturperiode, forderte ein Diskutant, müsse die Patientensteuerung „das zentrale Thema“ sein: „Dass jeder hingeht, wohin er will, muss aufhören.“
Zum Wohl der Patienten: Kooperation statt Konfrontation
Einem Teilnehmer war seine strapazierte Geduld anzumerken, als er die Diskussion auf eine grundsätzlichere Ebene hob: „Wir haben doch jetzt schon einen fundamentalen Mangel an Fachkräften, beide Sektoren bekommen nicht mehr die nötigen Ärzte“, auf Dauer müssten deshalb die Budgets zusammenfließen. Vielleicht, so seine Hoffnung, bringe „die nächste Regierung den Mut auf, gemeinsame Budgets zu beschließen, weil wir nicht mehr die Menschen haben, um beide Budgets zu bespielen“. Erfolgreich könne die sektorenübergreifende Versorgung nur organisiert werden, „wenn wir aufeinander zugehen und zusammenarbeiten“, es gehe jetzt um „Kooperation anstelle von Konfrontation“ zum Wohle der Patienten. Ein Diskutant sprang ihm bei mit der Aussage: „Auch ich würde die duale Finanzierung aufheben, um endlich die Sektoren einzureißen, die wir ja künstlich gebaut haben.“
Manche niedergelassenen Ärzte und deren Funktionäre würden jedoch in der Konkurrenz verharren, beklagte ein anderer Experte: „Wir brauchen ein völlig neues Mindset der praktizierenden Ärzte, wir brauchen viel mehr Kooperation.“ So seien Ärztekammern zum Beispiel noch lange nicht so weit, über radikal neue Ideen etwa bei der Weiterbildung und der Ausbildung von Allgemeinmedizinern nachzudenken; dabei bräuchten gerade Level1i-Häuser gute und engagierte Ärzte. Hausarztgeführte kleine Kliniken könnten die Versorgung deutlich verbessern, aber auch von Pflegefachpersonal geführte Einrichtungen müssten möglich sein: „Muss wirklich ein Arzt vor Ort sein“, fragte ein Teilnehmer, „wenn die Pflegefachpersonen vor Ort kommunikativ gut angebunden sind?“ Deshalb sei auch dringend über das Thema Heilkundeübertragung zu sprechen.
Plädoyer für die Klugheit der regionalen Akteure
In der Schlussrunde fasste ein Diskutant die Situation folgendermaßen zusammen und beschrieb damit die mehrheitlich geteilte Auffassung: „Wir haben einen großen Instrumentenkasten vom Universitätskrankenhaus bis zum niedergelassenen Haus- und Facharzt, vom Pflege- und Rettungsdienst bis zum MVZ und bald auch zum Level1i-Haus. Aus all dem können wir schöpfen, und trotzdem gibt es nicht die für ganz Deutschland ideale Kombination.“ Vielmehr müssten die Akteure jeder Region – ob Großstadt, Mittelzentrum oder ländlicher Raum – die für ihre Situation angemessene Kombination selber bestimmen. Ein Kollege sprang ihm mit einem anschaulichen Vergleich bei: „Wie bei Hochwasser, wenn ein Landrat den Notstand ausruft, müssen die Regionen, in denen die medizinische Versorgung nicht mehr gewährleistet ist, innovative Regionalmodelle entwickeln, um dem Notstand zu begegnen.“