Im Zentrum des jüngsten Luncheon Roundtable der Rhön Stiftung stand jenes Kontinuum, an dessen einem Ende der Staat alles bis ins letzte Detail reguliert und an dessen gegenüberliegendem Ende allein der Markt den Umfang, den Preis und die Qualität der Leistungen bestimmt. Dass im Gesundheitswesen im Allgemeinen und im Krankenhausbereich im Besonderen weder der eine noch der andere Maximalpunkt erstrebenswert ist, sondern irgendein Ort dazwischen, dürfte Konsens sein. Wo aber genau auf diesem Kontinuum der richtige Punkt liegen könnte, der eine leistungsfähige und bezahlbare Krankenhauslandschaft unter den Bedingungen einer alternden Gesellschaft garantiert, hängt stark von der Perspektive der Betrachter ab. Das wurde auch bei dieser Diskussion deutlich, in die sich folgende hochrangige Teilnehmer einbrachten:
- Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes in Bonn
- Prof. Achim Wambach, Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, ehemaliges Mitglied und Vorsitzender der Monopolkommission
- Dr. Wulf-Dietrich Leber, Leiter der Abteilung Krankenhäuser beim GKV-Spitzenverband in Berlin
- Prof. Dr. Andreas Schmid, Professor für Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement an der Uni Bayreuth
- Dr. med. Matthias Bracht, Geschäftsführer Medizin im Klinikum Region Hannover (KRH)
- Dr. Marc Bataille, Generalsekretär der Monopolkommission in Bonn
- Prof. Dr. Johannes Heyers, Experte für Kartellrecht bei Aulinger Rechtsanwälte und Notare in Bochum
- Nils Dehne, Geschäftsführer der Allianz Kommunaler Großkrankenhäuser
- Dr. med. Janosch Dahmen, Bundestagsabgeordneter und Notfallmediziner, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen
- Dr. Christian Zschocke, Managing Partner Deutschland Morgan, Lewis & Bockius LLP, Vorstand Rhön Stiftung
- sowie von der Rhön Stiftung Stifter Eugen Münch, Vorstandsvorsitzender Prof. Boris Augurzky, Prof. Andreas Beivers, Leiter wissenschaftliche Projekte und Geschäftsführerin Annette Kennel.
Braucht es mehr Wettbewerb? Und gibt es dafür ausreichend Ressourcen?
Einig waren sich die Diskutanten darüber, dass das Pendel zuletzt wieder etwas zurückgeschwungen sei – von einer stärkeren Betonung des Wettbewerbs während der vergangenen Jahrzehnte hin zu mehr Vorgaben des Gesetzgebers in jüngerer Zeit wie zuletzt durch die Krankenhausreform. Deren Folge, so wird allgemein erwartet, wird sein, dass manche kleineren Häuser schließen oder mit anderen fusionieren werden, was wiederum Wettbewerbshüter beunruhigt: Entstehen dann Monopole oder Oligopole, die den Patienten keine Wahlmöglichkeit mehr lassen? Und könnte darunter die Qualität der medizinischen Versorgung leiden – weil ja ein Platzhirsch ohne Konkurrenz auch mit nur mittelmäßiger Qualität über die Runden kommen kann, wenn seine Kunden keine Alternative haben? Dem steht wiederum das auch bei diesem Luncheon Roundtable vorgebrachte Argument entgegen, dass größere Häuser nicht nur effizienter mit Ressourcen umgehen können als kleine, sondern dass größere Einrichtungen wegen der höheren Fallzahlen in der Regel auch die bessere medizinische Qualität hervorbringen.
Ein Teilnehmer bezweifelte ganz grundsätzlich einen kausalen Zusammenhang zwischen Wettbewerb und Versorgungsqualität: „Wir hatten hierzulande in der Vergangenheit in weiten Teilen ein Wettbewerbssystem, ohne dass dies im internationalen Vergleich zu besserer Versorgung geführt hätte.“ Länder, die ihr Gesundheitssystem mit weniger Wettbewerb aufstellten, erzielten häufig bessere Versorgungsqualität, meinte der Diskutant. Relevant sei deshalb die entgegengesetzte Frage: „Wie können wir nicht in Konkurrenz, sondern gemeinsam in Netzwerkenund manchmal eben auch in lokalen Monopolen die Bedarfe decken?“ Wettbewerb setze Ressourcen voraus, die finanziell und vor allem personell immer knapper würden. Er sehe eher die Gefahr, argumentierte der Experte, „dass der Wettbewerb die Ressourcen in weniger versorgungsrelevanten Bereichen bindet“.
Sind regionale Monopole im Krankenhausmarkt wirklich eine Gefahr?
Es geht also nicht nur um Größe und Qualität, sondern auch um die regionale Abgrenzung von Märkten. Ein Teilnehmer der Expertenrunde meinte, dass zum Beispiel ein kleineres Krankenhaus im ländlichen Raum, das zu einem ambulanten Versorgungszentrum umgebaut wird, zwar als regionales Monopol angesehen werden könne. Aber eben nur bedingt, weil potenzielle Kunden, die an den Rändern des Versorgungsgebiets leben, durchaus andere Anbieter aufsuchen könnten. „Wenn das nur fünf oder zehn Prozent der potenziellen Patienten tun, steht das Krankenhaus schon so stark unter Wettbewerbsdruck, dass es sich eben doch nicht erlauben kann, was sich ein klassischer Monopolist zulasten seiner Patienten möglicherweise erlaubt.“ Dem pflichtete ein Experte bei, indem er an das Beispiel einer vom Kartellamt untersagten Fusion in einem Ballungsraum erinnerte: „Nachzuvollziehen war das nicht wirklich, denn in diesem Fall war die Großstadt mit mehreren Krankenhäusern keine zwanzig Minuten entfernt, und auch in der weiteren Peripherie gab es andere kompetente Anbieter.“ Um ein schädliches Monopol konstatieren zu können, komme es weniger auf die realen Patientenströme an, sondern darauf, ob ausreichend viele Patienten in andere Einrichtungen ausweichen könnten.
Ein Teilnehmer pflichtete dem teilweise bei – „für bestimmte Regionen und bei bestimmten Indikationen geht es ohne Monopole gar nicht“ –, dennoch sorge er sich um die „längerfristige wettbewerbsschädliche Dynamik, die entsteht, wenn man regionale Monopole zulässt.“ Auch ein anderer Diskutant war eher auf der sorgenden Seite: „Nichts gegen große Krankenhäuser, im Gegenteil: Wir brauchen eine Konsolidierung. Aber wir haben etwas gegen Monopole, für die jetzt möglicherweise Strukturen geschaffen werden, in denen der Qualitätswettbewerb ohne Not über Bord geworfen wird.“
Mehr Qualitätstransparenz für Versicherte! Und warum nicht Vorhaltepauschalen ausschreiben?
In dieser Gemengelage müsse den Patienten eine stärkere Rolle zukommen, und dafür könne die Politik auch sorgen, meinte ein Teilnehmer: „Wir brauchen mehr Transparenz über die Qualität der Krankenhäuser“, forderte er und erinnerte an den Vorschlag von Experten, den Krankenkassen das Mandat zu erteilen, ihren Versicherten Empfehlungen geben zu dürfen nach dem Motto: Bei den Hüft-OPs ist Krankenhaus X besser als Konkurrent Y, bei der Geburtshilfe ist es genau umgekehrt. Die Effizienz- und Qualitätsvorteile durch Fusionen seien eindeutig, und der daraus erwachsenden Gefahr der Marktbeherrschung durch große Kliniken könne man mit Transparenz zur Versorgungsqualität entgegenwirken. Dem stimmten andere Experten zu: Bei der Transparenz sei „noch eine ganze Menge Luft nach oben“, die Patienten müssten „in ihrer Gesundheitskompetenz aufgerüstet“ werden; der neue bundesweite Klinik-Atlas sei da nur ein Instrument von vielen, die man sich außerdem vorstellen könne. Je informierter die Versicherten seien, umso größer könne auch der Radius bei der Abgrenzung des relevanten Marktes gezogen werden. Zusätzlicher Wettbewerb könne dadurch angeregt werden, dass Vorhaltepauschalen – ähnlich Mobilfunkfrequenzen –ausgeschrieben und dann für einige Jahre vergeben werden, bis die nächste Ausschreibung ansteht.
Keinen Konsens fanden die Teilnehmer des Luncheon Roundtable bei der Einschätzung der Rolle der niedergelassenen Ärzte als Einweiser in die Krankenhäuser: Während die einen meinten, dadurch würde Transparenz über die Qualität medizinischer Leistungen in den Kliniken hergestellt („Hier entfaltet Wettbewerb seine qualitätssichernde Rolle“), hielten andere dagegen: „Die zuweisenden Ärzte handeln auch interessengetrieben, sie entscheiden nicht allein nach medizinischer Indikation. Wenn es so wäre, würden wir keine so großen Qualitätsunterschiede zwischen Häusern sehen.“ Das bestätigte ein anderer: „Wenn die Niedergelassenen so streng nach Qualitätskriterien einweisen würden, könnte man nicht erklären, warum es so viele Tumorpatienten gibt, die außerhalb von Krebszentren behandelt werden.“
Plädoyer gegen das Entweder-Oder und für den „Wettbewerb zwischen den Regionen“
Er halte nichts davon, das Thema dichotom zu behandeln – also in der Weise, dass man sich für das eine oder das andere Ende des Kontinuums entscheiden müsse, empfahl ein Teilnehmer und traf damit wohl den Nerv der meisten Mit-Diskutanten. „Die eine Seite fordert, möglichst stark zu konsolidieren, die andere plädiert für möglichst viele Krankenhäuser, um den Wettbewerb anzuregen.“ Für die erste Sichtweise spreche, dass Krankenhausfusionen durchaus Qualitätsvorteile bringen könnten, für die andere Sicht, dass Fusionen zu steigenden Preisen führten, wie viele Studien belegten. „Es scheint mir kein guter Weg zu sein, entweder das eine oder das andere vollumfänglich anzupeilen. Die Frage ist eher: Wie kriegt man beides zusammen.“
Eine Antwort darauf könnten sektorenübergreifende Regionalbudgets sein, die ein Teilnehmer skizzierte: Eine Region erhält für jeden ihrer Einwohner rund 5.000 Euro, das entspricht den durchschnittlichen Gesundheits- und Pflegeausgaben pro Kopf, inklusive aller Zuschüsse. Damit müssten sämtliche Gesundheitsdienstleister dieser Region – ambulante und stationäre – die Versorgung der Menschen gewährleisten. „Die Regionen hätten dabei die Ergebnisverantwortung und Kontrolle, aber auch eine sehr hohe Gestaltungsfreiheit. Es wäre ein Public-Health-Ansatz, bei dem viel in die Prävention investiert würde und der zu einem Wettbewerb zwischen den Regionen führen würde. Das wäre ganz sicher eine lohnende Diskussion, die wir in Zukunft führen sollten.“