Pressemitteilung vom 25. November 2015
Dirk Tenzer (Klinikum Oldenburg) gewinnt in der Kategorie Geschäftsmodell/In der Kategorie Wissenschaft wurden Neeltje van den Berg (Universitätsmedizin Greifswald), Jochen Gensichen (Universitätsmedizin Jena) und Leonie Sundmacher (Ludwig Maximilians-Universität München) ausgezeichnet.
München, 25. November 2015. Die Stiftung Münch hat am 24. November auf einer Veranstaltung in München die Gewinner des ersten Eugen Münch-Preis ausgezeichnet. Dirk Tenzer, Klinikum Oldenburg, wurde für das „Telemedizin-Netzwerk für Menschen ohne Zugang zu ärztlicher Versorgung“ von der Jury als Gewinner in der Kategorie Geschäftsmodell gewählt, die mit 10.000 Euro und einem Mentoring-Programm dotiert ist. In der Kategorie Wissenschaft, für die ein Preisgeld in Höhe von 25.000 Euro vergeben wird, befand die Jury drei Arbeiten für gleichermaßen preiswürdig. Leonie Sundmacher (Ludwig Maximilians-Universität München) wurde für ihre Arbeit „Qualitätsmessung in empirischen Netzwerken“ ausgezeichnet. Zweite Gewinnerin ist Neeltje van den Berg (Universitätsmedizin Greifswald), die ein Telefon- und SMS- basiertes telemedizinisches Konzept für Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen implementiert und wissenschaftlich evaluiert hat. Außerdem wurden Jochen Gensichen und Konrad Schmidt von der Universitätsmedizin Jena von der Jury als Preisträger ausgewählt. Die Mediziner der „Smooth-Gruppe“ haben in ihrer Arbeit nachgewiesen, dass durch die Vernetzung von Hausarzt, Rehabilitation und Intensivmedizin die Nachsorge von Patienten nach einer intensivmedizinischen Versorgung verbessert werden kann. „Die prämierten Arbeiten belegen eindrucksvoll, dass durch Vernetzung und Nutzung moderner Techniken die medizinische Versorgung gleichermaßen ressourcenschonend und patientenorientierter gestaltet werden kann“, so Volker Amelung, Mitglied der Jury und Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Managed Care.
Mit dem Eugen Münch-Preis unterstützt die Stiftung Münch innovative, netzwerkorientierte und nachhaltig tragfähige Konzepte, die zu einer Effizienzverbesserung im Gesundheitswesen beitragen. Der Jury im Jahr 2015 gehörten Professor Volker Amelung (Vorsitzender des Vorstands Bundesverband Managed Care), Uwe Deh (ehem. Geschäftsführender Vorstand AOK Bundesverband), Bernd Griewing (Vorstand Rhön Klinikum AG), Sebastian Schmidt-Kaehler (Organisations- und Unternehmensberatung für Patientenkommunikation), Maike Telgheder (Redakteurin Handelsblatt) und Andreas Poensgen (Gesellschafter und Managing Partner Turgot Ventures) an. Der Preis wird jedes Jahr vergeben, die Ausschreibung für das Jahr 2016 beginnt in Kürze.
Wir geben Ihnen hier einen kurzen Überblick über die eingereichte Arbeit und die Begründung der Jury. Weitere Informationen sowie den Lebenslauf und ein Bild des Preisträgers finden Sie auf unserer Internetseite unter www.stiftung-muench.org
Kategorie Geschäftsmodell:
Dr. Dirk Tenzer, Klinikum Oldenburg: „Telemedizin-Netzwerk für Menschen ohne Zugang zu ärztlicher Versorgung.“
Die Telemedizin-Zentrale des Klinikums Oldenburg ist seit dem 1. März 2015 in Betrieb und derzeit das deutschlandweit umfassendste Projekt seiner Art. Mit Hilfe digitaler Telekommunikation und mobiler, hochentwickelter Endgeräte können berufserfahrene Notfallmediziner des Klinikums für eine frühzeitige, kontrollierte Diagnostik und Therapie sorgen – zu jeder Tages- und Nachtzeit. Alle medizinischen Fachrichtungen des Klinikums lassen sich nach Bedarf hinzuziehen. Telemedizinische Betriebsabläufe, Algorithmen und Prozesse konnten bereits aus der Erprobungsphase in den Routinebetrieb übergehen.
Das Klinikum fokussierte sich zunächst auf die Behandlung von Mitarbeitern auf Offshore-Windparkanlagen und Ölplattformen, die keine Möglichkeit eines direkten Zugangs zu medizinischer Versorgung haben. Das Ziel ist eine zeitnahe Ausweitung der Telemedizin auf weitere Einsatzgebiete. Menschen ohne einen räumlich oder zeitlich direkten Zugang zu fachärztlicher oder auch notfallmedizinischer Versorgung stehen bei dieser Ausweitung im Fokus (z.B. Heimbeatmungen, Halligen, Expeditionen). Die Einsatzmöglichkeiten sind vielseitig und haben sehr großes Nutzwertpotenzial: Neben den Vorteilen für Patienten (sicherer Zugang zu hochqualitativer Facharztversorgung, Wegezeitenreduktion etc.) können umfassende Kostenersparnisse erwirkt werden (z.B. Reduzierung von luft- und bodengestützten Transportkosten). Darüber hinaus besteht auch im Bereich der ambulanten Pflege Verbesserungspotenzial, das sich durch den Einsatz von Telemedizin (z. B. Wegfall von ungeplanten stationären Aufnahmen) heben lässt.
Begründung der Jury:
Das Projekt zeigt, wie eine effektive und sehr schnelle fachärztliche Versorgung in strukturschwachen Gebieten durch Telemedizin funktioniert. Mit fachärztlichen Callcentern, hochwertiger Telemedizin und lokalen Sanitätern oder Allgemeinmedizinern versorgen die Partner Windparks und Ölplattformen in der Nordsee. Da diese außerhalb der Zwölf-Meilen-Zone liegen, konnte das Klinikum und sein Partner, IQ.medworks, ein Konzept losgelöst von den Fesseln des Verordnungswerks der Sozialgesetzbücher entwickeln – ein Vorteil, den sie konsequent im Sinne der Sache nutzten. Was entstand, dient als Leuchtturm und Blaupause für Lösungen, die vielen schwer erkrankten auch auf dem Lande sehr nützen können.
Kategorie Wissenschaft
Professorin Leonie Sundmacher, Ludwig Maximilians-Universität München, Fachbereich Health Services Management: „Qualitätsmessung in empirischen Netzwerken“
Die prämierten Arbeiten von Professorin Sundmacher und ihrem Team liefern eine fundierte Grundlage, mit der die Qualität im ambulanten Sektor gemessen werden kann – einem Bereich, in dem die medizinische Qualität kaum bekannt ist und zuweilen als „black box“ bezeichnet wird.
Als Marker dienten „ambulant-sensitive Diagnosen“: dabei liegt die Annahme zugrunde, dass bei bestimmten Diagnosen die Behandlung im Krankenhaus nicht erforderlich ist, wenn der Zugang zu medizinischer Versorgung und/oder die Qualität der Versorgung im ambulanten Feld gewährleistet ist – sei es durch effektives Management chronischer Erkrankungen, durch effektive Akutbehandlung oder durch Immunisierungen.
Sundmacher verfolgte in ihren Arbeiten das Ziel, die Raten ambulant-sensitiver Krankenhausfälle als Maß zur Einschätzung von Ergebnisqualität in Netzwerken von Krankenversorgern zu etablieren. Im Ergebnis wurden 40 ambulant-sensitive Diagnosegruppen konsentiert, von denen Sundmacher und ihr Team aufgrund der Public Health-Relevanz und Vermeidbarkeit 22 Diagnosegruppen als Kernliste empfehlen. Laut der konsentierten Liste sind rund fünf Millionen oder circa 27 Prozent aller Krankenhausfälle ambulant-sensitive Diagnosen. Davon sind 3,7 Millionen, also circa 20 Prozent aller Krankenhausfälle, gemäß der Schätzung der Teilnehmer tatsächlich vermeidbar.
Auf Grundlage von Routinedaten können damit empirische Netzwerke identifiziert und auf dieser inhaltlich-relevanten Ebene risikoadjustierte Raten ambulant-sensitiver Krankenhausfälle verglichen und die Kontinuität der Versorgung untersucht werden. Weiterhin kann die Ergebnisqualität organisierter Ärztenetzwerke mit den Ergebnissen der empirischen Netzwerke verglichen werden.
Begründung der Jury:
Patientenorientierung setzt Information voraus. Routinedaten dafür gibt es viele. Diese müssen aber analysiert und geeignet nutzbar gemacht werden, damit darauf basierend eine fundierte evidenzbasierte Versorgung aufgebaut werden kann. Die Arbeiten von Sundmacher schaffen dafür eine hervorragende Grundlage.
Kategorie Wissenschaft:
Professor Jochen Gensichen, Dr. Konrad Schmidt, Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Jena: „Vernetzung von Hausarzt, Rehabilitation und Intensivmedizin verbessert die Nachsorge von Patienten nach intensivmedizinischer Behandlung“
Gensichen, Schmidt und 43 weitere Wissenschaftler der der „Smooth“-Gruppe (Sepsis survivors monitoring and coordination in outpatient health care) haben in ihrer Arbeit untersucht, ob mit einem vernetzten und kollaborativen Versorgungsansatz der klinische Verlauf und die Lebensqualität von Patienten verbessert werden kann, die aufgrund einer schweren Sepsis intensivmedizinisch behandelt werden mussten. Denn obwohl die Überlebenschancen derzeit weiter steigen, leiden viele Patienten im Verlauf unter zahlreichen Beeinträchtigungen und auch psychischen Belastungen, die im Zusammenhang mit der Zeit auf der Intensivstation stehen („Post-Intensive Care Syndrome“). Durch die Fragmentierung der Versorgung werden diese Komplikationen oft nicht rechtzeitig behandelt und auch nicht als Langzeitfolgen der Sepsis erkannt.
In dem einmaligen Projekt wurden deshalb Intensivmediziner, Klinikärzte, Hausärzte und so genannte Case Manager vernetzt, um den Informationsfluss zu verbessern und die Behandlung abgestimmt durchzuführen. Dazu gehörten evidenzbasiertes Lernen, kontinuierliches und strukturiertes Monitoring sowie ein translationales Übergangsmanagement. Das Ergebnis der zweiarmigen, randomisierten und multizentrischen Interventionsstudie mit über 290 Patienten nach einer Sepsis legt nahe, dass vor allem die funktionale Lebensqualität und die Alltagskompetenzen der Betroffenen durch das Programm verbessert werden können. Vernetzung führt also zu einer Verbesserung der Versorgungsqualität.
Begründung der Jury:
Die reibungslose Weiterbehandlung von stationär behandelten Patienten ist im deutschen Gesundheitssystem oft nicht gegeben, die Versorgungsketten sind fragmentiert. Die Arbeit von Gensichen und seinem Team schafft eine gelungene Vernetzung aller relevanten Akteure in der Nachsorge von Patienten nach einer intensivmedizinischen Behandlung und evaluiert sie in einer randomisierten kontrollierten Studie.
Kategorie Wissenschaft:
Privatdozentin Neeltje van den Berg, Institut für Community Medicine, Universitätsmedizin Greifswald: „Telefon- und SMS- basiertes telemedizinisches Konzept für Patienten mit psychischen Erkrankungen“
Psychische Erkrankungen wie Depressionen oder auch angst- und somatoformen Störungen sind häufig. Doch die Therapieplätze sind knapp und vor allem in ländlichen Regionen können die Betroffenen aufgrund der langen Wartelisten oft nicht oder erst spät Hilfe in Anspruch nehmen.
van den Berg und ihr Team haben deshalb in Vorpommern eine telemedizinisches Konzept für diese Patienten entwickelt, implementiert und evaluiert. In einer randomisiert kontrollierten Studie mit zwei Interventionsgruppen wurden 141 Patienten nach einem Aufenthalt in der Klinik über einen Zeitraum von sechs Monaten telemedizinisch betreut. Sie wurden regelmäßig telefonisch kontaktiert. Die zweite Interventionsgruppe erhielt zusätzlich Kurznachrichten. Die Betreuung erfolgte durch speziell qualifizierte Pflegekräfte und umfasste von Patienten und Therapeuten vorher festgelegte Kriterien wie zum Beispiel den Umgang mit den Krankheitssymptomen, Probleme mit der Familie oder im Arbeits- und Alltagsumfeld. Die Evaluation ergab, dass es deutliche Verbesserungen durch die telemedizinische Betreuung bei den Patienten mit Depressionen und Angstsymptomen gab – insbesondere bei denjenigen mit hohen psychischen Belastungen. Das Projekt wurde mit sechs psychiatrischen Institutsambulanzen und Tageskliniken in Vorpommern in die Regelversorgung übernommen. Etwa 70 Patienten können dabei durchschnittlich gleichzeitig im Telemedizinzentrum betreut werden.
Jury zu van den Berg:
Die Arbeit ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie die Nutzung von modernen Technologien zur Verbesserung der Versorgung in strukturschwachen Regionen eingesetzt werden kann. Dabei ist der Einsatz von Technologie kein Selbstzweck, sondern es wird ausgehend vom Bedarf ermittelt, was die Technologie zur Unterstützung leisten kann.
Die Stiftung Münch wurde 2014 von Eugen Münch ins Leben gerufen. Das Stiftungsziel ist es, trotz einer alternden Gesellschaft weiterhin allen Menschen den Zugang zu nicht rationierter Medizin zu ermöglichen. Als Grundlage dient das von Eugen Münch entwickelte Konzept der Netzwerkmedizin. Die Stiftung unterstützt Wissenschaft, Forschung und praxisnahe Arbeiten in der Gesundheitswirtschaft und fördert den nationalen und internationalen Austausch. Sie arbeitet unabhängig und stellt ihr Wissen öffentlich zur Verfügung. Den Vorstand bilden Stephan Holzinger (Vorsitz), Eugen Münch (stellv. Vorsitz) und Prof. Dr. med. Bernd Griewing; die wissenschaftliche Geschäftsführung liegt bei Dr. Boris Augurzky.