10. Dezember 2014
Zehn Teilnehmer trafen sich in München zum zweiten Luncheon Round Table der Stiftung Münch. Drei Fragen waren Schwerpunkt der Diskussion: Werden intelligente Apps den Arzt verdrängen so wie Amazon Buchläden verdrängt hat? Oder wird es sogar zu einer Renaissance des Hausarztes kommen, der Patienten hilft, mit digitalen Apps zu manövrieren? Und wird die elektronische Patientenakte doch noch kommen?
An der Diskussion nahmen teil:
- Dr. Peter Langkafel, Healthcare Industry Director, SAP Deutschland AG & Co. KGM
- Hans-Adolf Müller, ehem. Leiter Gesundheitsmanagement der Knappschaft
- Dr. Mani Rafii, Vorstand Barmer GEK
- Prof. Dr. Andreas Hoeft, Stellv. Ärztlicher Direktor, Universitätsklinik Bonn
- Dr. Andreas Poensgen, Gesellschafter und Managing Partner Turgot Ventures
- Dr. Klaus Stöckemann, Geschäftsführer Peppermint Venturas GmbH
Sowie von der Stiftung Münch:
- Eugen Münch, Vorstandsvorsitzender
- Stephan Holzinger, stellv. Vorstandsvorsitzender
- Dr. Boris Augurzky, Geschäftsführer
- Annette Kennel, Referentin Öffentlichkeitsarbeit
„Qualität im ambulanten Bereich ist eine Blackbox“
Die Teilnehmer waren sich einig, dass eine Digitalisierung der Medizin zu großen Vorteilen für die Patienten und die Bevölkerung führen kann. Sie kann die Qualität der medizinischen Versorgung erhöhen. So sind bereits heute in einigen Bereichen die digitalen Medien den Ärzten durchaus überlegen. Angststörungen etwa können computergestützt zum Teil besser diagnostiziert werden als durch Psychiater alleine. Und Schizophrenierückfälle können durch sensorische Tabletts zuverlässig vorhergesehen werden – eine Fähigkeit, die ein Arzt nicht besitzt. Gleichwohl wurde diskutiert, in wie weit multimorbide Patienten mit kognitiven Einschränkungen digitale Tools wirklich nutzen können. Um Veränderungen herbeiführen zu können, genüge es aber schon, nur einen Teil der Patienten für Neues zu gewinnen.
Auch die Transparenz der medizinischen Qualität wurde diskutiert. Während im stationären Bereich Daten und Kontrollinstrumente existieren, ist die ambulante Versorgungsqualität in weiten Teilen nicht bekannt. „Das ist eine Blackbox und vielleicht ist unsere medizinische Qualität gar nicht so gut, wie wir glauben“, so ein Redebeitrag. Gerade in der ambulanten Versorgung gibt es daher noch ein großes Potenzial, die Qualität durch Transparenz über Digitalisierung anzuheben.
„Dr. Siri wird kommen“ – Hausarzt ja, aber anders
Einig waren sich die Teilnehmer, dass die Digitalisierung der Medizin nicht aufzuhalten sei. Der Hausarzt in seiner heutigen Form könnte einen Großteil seiner Tätigkeiten „verlieren“. Denn bereits jetzt sind 70 bis 80 Prozent der Besuche beim Hausarzt aus medizinischer Sicht nicht unbedingt nötig. „Die Patienten suchen den Arzt auch auf, weil sie den Wunsch nach Empathie haben“, so ein Teilnehmer. Doch die durchschnittliche Dauer des Arzt-Patienten-Kontaktes beträgt lediglich 4,5 Minuten. Bereits existierende Apps werden im Schnitt zwölf Minuten genutzt, können also ausführlicher zur Verfügung stehen. Und auch so etwas wie „künstliche Empathie“ wird es geben: „Nachdem ich Siri viele Dinge gefragt hatte, hatte ich ihr am Ende gesagt, dass sie blöd wäre. Als Antwort erhielt ich: Und das, nachdem ich so viel für Dich getan habe.“ Vielleicht erwirbt Siri irgendwann auch einen Dr. med.
Fazit: durch die Digitalisierung wird sich das Berufsbild des Arztes verändern. Es wird zwar weniger Hausärzte geben. Der Hausarzt wird aber dennoch eine Renaissance erleben: er kümmert sich um die wirklich wichtigen und schweren Fälle intensiver, delegiert einfache Fälle an die Apps und begleitet den Patienten durch das Gesundheitssystem.
Datenschutz als Hemmnis für Innovationen
Doch der deutsche Gesundheitsmarkt ist schwerfällig. Neuerungen werden oft blockiert. In anderen Ländern wurde die elektronische Patientenakte bereits erfolgreich eingeführt; in Deutschland trifft sie auf erhebliche Widerstände. „Dabei ist der Datenschutz eines der größten Hindernisse“, formulierte einer der Teilnehmer. Eine Studie belegt: für Blockaden von Veränderungen werden immer drei Argumente aufgeführt – eines davon ist stets der Datenschutz.
Dabei zeigt sich, dass 97 Prozent der Patienten einer elektronischen Krankenakte zustimmen würden, wenn sie einen erkennbaren Nutzen sehen. Einer der Teilnehmer formulierte provokant: „Der Datenschutz ist ein machtpolitisches Instrument und wird als Argument zum Territorienschutz von Arztverbänden und Krankenkassen verwendet.“ „Wir haben viele Daten, die zur Verbesserung der medizinischen Versorgung eingesetzt werden könnten – Wer schützt eigentlich die Daten davor, nicht verwendet zu werden?“, lautete eine Frage.
Die notwendigen Änderungen anstoßen – dabei will die Stiftung Münch unterstützen. „Wir werden sicher keinen Konsens in der Politik erreichen, aber damit erreicht man auch keine Veränderung“, so Eugen Münch. „Zu einer Veränderung braucht man nur fünf bis zehn Prozent, die etwas bewirken – die wollen wir erreichen.“