Die zentrale und so dringliche Frage formulierte Moderator Andreas Beivers gleich zu Beginn dieses ersten Luncheon Roundtables der Rhön Stiftung in 2025: „Woran liegt es, dass das innovative Konzept des Hospital-at-Home (H@H) hierzulande nicht umgesetzt wird, wenn doch die Empirie und Validierung vorliegen und eine so eindeutige Sprache sprechen?“ Hospital-at-Home ist ein in den 1970er Jahren in den USA und Australien entwickeltes Konzept, das sich als effektiv erwiesen hat, um die stationäre Versorgung zu entlasten. Vor allem bei älteren, multimorbiden Patienten führt die häusliche Behandlung zu kürzeren Krankenhausaufenthalten, weniger Einweisungen und höherer Patientenzufriedenheit. Und wie Untersuchungen in den USA, Australien und Spanien zeigten, können auch niedrigere Kosten und geringere Komplikationsraten die Folge sein. Es brauche jetzt „Macher“, so der Tenor der Experten bei diesem Luncheon Roundtable, damit sich H@H auch in Deutschland zu einem funktionierenden Geschäftsmodell entwickeln könne.
Teilnehmer der Online-Diskussion waren:
- Prof. Dr. med. Mark Dominik Alscher, Medizinischer Geschäftsführer des Robert Bosch Krankenhauses sowie des Bosch Health Campus
- Prof. Dr. Volker Amelung, Geschäftsführer, Gründer und Gesellschafter des Instituts für angewandte Versorgungsforschung (INAV)
- Thomas Ballast, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse (TK)
- Dr. Simon Eggert, Geschäftsleiter Forschung & Kommunikation beim Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP)
- Prof. Dr. Christian Karagiannidis, Geschäftsführender Oberarzt und Leiter des ECMO-Zentrums in den Kliniken Köln
sowie von der Rhön Stiftung Stifter Eugen Münch, Vorstandsvorsitzender Boris Augurzky, Geschäftsführerin Annette Kennel und als Moderator Andreas Beivers, Leiter wissenschaftliche Projekte.
Einig waren sich die Teilnehmer der Runde, dass man ganz bestimmte medizinische Indikationen adressieren müsse, die geeignet sind für die ambulante Versorgung bei gleichzeitiger Anbindung an eine stationäre Einrichtung. Zum Patientenkreis würden vor allem chronisch kranke Menschen gehören, die etwa unter der Atemwegskrankheit COPD leiden, ebenso Dialysepatienten und solche, die wegen Krebserkrankungen behandelt werden. Im Fokus des Konzepts stehen jedoch eindeutig ältere bis hochbetagte, oft multimorbide Menschen, die zu Hause versorgt werden oder in einer stationären Pflegeeinrichtung leben. Letztere werden im Schnitt zweimal im Jahr in der Notaufnahme eines Krankenhauses vorstellig, und häufig schließt sich daran ein Krankenhausaufenthalt zur Überwachung des Gesundheitszustands an. In absoluten Zahlen sind dies in Deutschland rund 800.000 Menschen. Doch so gut die Versorgung im Krankenhaus sein mag, so klar ist auch, dass der Transport und die ungewohnte Umgebung viele Betroffene körperlich und psychisch stark belastet.

Krankenhäuser mit permanenter Schnittstelle zu Pflegeheim
Ein Teilnehmer berichtete aus der Praxis über die sehr hohe Zahl von alten bis hochbetagten Menschen, die im Zuge der Grippewelle täglich ins Krankenhaus kommen und dann wieder entlassen werden. Er fragte: „Bräuchte es beim H@H-Konzept nicht sehr viel Personal, um das Hin und Her zwischen Krankenhaus und Häuslichkeit zu organisieren?“ Als mögliche Lösung brachte er Level1i-Krankenhäuser ins Spiel, die im Zuge der Krankenhausreform als neue sektorenübergreifende Versorger konzipiert wurden und die die Krankenhauslandschaft in den nächsten Jahren sichtbar verändern sollen. Dem pflichtete ein Mitdiskutant bei, indem er daran erinnerte, dass die Zahl der Krankenhäuser in den nächsten Jahren kleiner werden wird: „Und wenn sich der Weg ins Krankenhaus verlängert, liegt es näher, Menschen ambulant zu versorgen und damit unnötige Einweisungen ins Krankenhaus zu vermeiden.“

Für eine Klinik könne es sich durchaus lohnen, zum Beispiel zu einem Pflegeheim mit einigen Dutzend Bewohnern eine dauerhafte Schnittstelle zu etablieren, so dass viele medizinische Leistungen im Heim und nicht mehr im Hospital erbracht werden, befand ein Diskutant. Zweifel habe er allerdings bei der Versorgung einzelner Patienten zu Hause: „Das dürfte kaum wirtschaftlich darstellbar sein“, gab er zu bedenken und fügte an: „Es gibt bereits einige Smart-Home-Initiativen für Menschen, die in ihrer Wohnung bleiben, und mein Eindruck ist, dass die nicht wirklich gut funktionieren.“ Am Anfang jeder Überlegung für hybride Versorgungsstrukturen müsse deshalb genau geklärt werden, welche Indikationen in welcher Anzahl tatsächlich die Basis für H@H sein sollen.

Digitale Kompetenzen von Betroffenen, Angehörigen und Pflegekräften stärken
Was die strukturellen medizinisch-technischen Voraussetzungen und die entsprechenden Kompetenzen aller Beteiligten anbelangt, waren die Teilnehmer überwiegend positiv gestimmt. Die technologischen Bedingungen für H@H seien hierzulande gar nicht schlecht, meinte ein Experte: „Um die Menschen außerhalb des Krankenhauses gut betreuen zu können, braucht es eine gute telemedizinische Anbindung und gute Sensorik – und in beidem steht Deutschland ganz gut da.“ Auch auf Seiten pflegender Angehöriger sehe er „eine robuste und wachsende Basis für das Anlernen und Schulen auf digitale Geräte“. Bei den Betroffenen selber sei das Bild unterschiedlich: Während jüngere Patienten – die sich zum Beispiel in einer onkologischen Behandlung befinden – durchaus eine hohe Affinität zu Apps und Geräten hätten, seien Hochbetagte und Menschen mit beginnender Demenz häufig überfordert, selbst solche, die zuvor durchaus digital kompetent waren: „Was früher ein Alltagsinstrument für sie war, zum Beispiel die Smartwatch am Handgelenk, erweist sich in der neuen Situation als störend und kann Unruhe und Aggression auslösen.“

Auch bei den Pflegekräften sei zu differenzieren zwischen Pflegehelfern und hochqualifizierten Pflegefachpersonen. Aber insgesamt, berichtete ein Teilnehmer, gebe es in der Pflege genügend Personen, „die ein hohes Interesse für anspruchsvolle technologische Prozesse mitbringen und es als Jobenrichment begreifen, hinzulernen zu können“. Beispiele in Nordamerika zeigten, dass es vor allem akademisch geschulte Pflegerinnen und Pfleger sind, die H@H im Alltag möglich machen: „Mit ihnen setzt die Eskalation zu den Ärzten und in den stationären Sektor, die im Notfall natürlich möglich sein muss, wesentlich später ein.“ Ein Teilnehmer bestätigte dies durch den Hinweis auf einen erfolgreichen Modellversuch in Deutschland mit COPD-Patienten: „Dort gab es in der Fläche keine Lungenfachärzte mehr. Dennoch konnten die Patienten zu Hause versorgt werden, weil bei Komplikationen der betreuende Hausarzt schnell angefordert und dadurch eine stationäre Aufnahme verhindert werden konnte.“

Kein Widerspruch: höhere Qualität bei niedrigeren Kosten
Hospital@Home sei ein Paradebeispiel dafür, dass höhere Qualität und niedrigere Kosten kein Widerspruch sein müssten, sondern im Gegenteil beides gleichzeitig erreicht werden könne, meinte ein Teilnehmer und fügte an: „Ich bin fest davon überzeugt, dass das Konzept ein extrem spannendes Geschäftsmodell werden kann.“

Ein Diskutant wandte ein, dass es zwar immer wieder interessante Modellversuche in die Richtung von H@H gebe: „Aber das sind oft Orte, an denen es eine bestimmte Versorgungskonstellation gibt und bei der die richtigen Personen zusammenkommen. Das funktioniert dann auch ganz gut, aber es verbreitet sich nicht in andere Regionen. Trotz Digitalisierung ist die Skalierbarkeit das Problem.“ Ein anderer Experte benannte eine weitere Hürde: „In den vorhandenen Gebührensystemen sind die für H@H nötigen Entgelte nicht zu finden. Und weder die Krankenhäuser noch die Kassenärztlichen Vereinigungen würden zur Finanzierung für H@H etwas von ihrem Budget abgeben wollen.“

Dennoch war die Stimmung bei diesem Luncheon Roundtable verhalten optimistisch, dass sich H@H früher oder später etablieren wird. Es gebe zwar ein politisches Umfeld, in dem die Ökonomisierung des Gesundheitswesens beklagt würde, schilderte ein Teilnehmer seine Beobachtung. Doch davon solle man sich nicht abhalten lassen: „Wenn wir weniger Krankenhäuser haben, weniger Apotheken, weniger Haus- und Fachärzte, weniger personelle und finanzielle Ressourcen, wird die Bereitschaft für neue Lösungen wachsen. Wir müssen uns hüten, stets die Probleme des bestehenden Systems zu adressieren, sondern proaktiv Patientengruppen definieren, die sich für H@H eigenen. Dann kann ein robustes Geschäftsmodell entstehen, das belegt, dass es funktionieren kann.“

Die Zeit der „Macher“ muss jetzt kommen
Politikbashing sei nicht angesagt, riet ein Teilnehmer; denn gesetzlich seien die Spielräume absolut gegeben: „Mit dem §140a im SGB V haben wir ein Instrument, mit dem wir sehr viel bewegen können – wenn wir es denn wollen und wagen.“ Dem pflichtete ein anderer Diskutant leidenschaftlich bei: „Wir können uns nicht länger hinter Forderungen an die Politik verstecken. Viel zu viele, die jetzt losgehen könnten, hocken auf der Stange und warten, ob irgendjemand einen Futternapf aufstellt. Eine Handvoll ´Macher`, die das Risiko nicht scheuen, würde wohl schon ausreichen, um H@H auf den Weg zu bringen. Und aus dieser Praxis würde sich – am bestehenden System vorbei – eine Struktur entwickeln, die das ganze System verändern kann.“
