Es fielen starke Worte bei diesem Luncheon Roundtable, aber angesichts der Relevanz des Themas war das nicht überraschend. Zumal Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach seine Krankenhausreform selbst schon als „Revolution“ bezeichnet hat. Wo der Anspruch so hoch ist, kommt auch die Kritik selten als Kleingeld. Von einer „Mogelpackung“ war beim Luncheon Roundtable der Rhön Stiftung die Rede, davon, dass eine „unfassbare Unklarheit über Anreize und Mechanismen“ herrsche und deshalb ungewiss sei, „wie aus dem politischen Konsens ein Arbeitsinstrument werden kann, das überhaupt Wirkung entfaltet.“ Neben Aussagen wie „die Reform ist der falsche Weg“ gab es aber auch Bekenntnisse der Art „ich bin ein großer Fan der Reform“. Worauf sich die meisten einigen konnten, war die Feststellung, dass in den zwei Jahrzehnten zuvor mehr oder weniger Stillstand herrschte und die Reform schon deshalb in gewisser Weise ein Fortschritt sei. Für die rund 100 Milliarden Euro, die jährlich in die deutschen Krankenhäuser fließen, sei die erbrachte Qualität nicht optimal, Veränderungen deshalb unumgänglich. „Ohne Reform hätten wir ein System ungesteuert am Abgrund, was keiner wollen kann“, warnte einer, nun gehe es darum, das Beste daraus zu machen.
An der kontroversen online-Diskussion waren folgende Experten beteiligt:
- Francesco De Meo, früher Chef von Helios und Vorstand bei Fresenius, heute Berater und Investor
- Simon Loeser, Bereichsleiter Stationäre Versorgung bei der AOK Rheinland/Hamburg
- Michael Weller, Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium
- Michael Zaske, Abteilungsleiter im Brandenburgischen Gesundheitsministerium
- Johannes Wolff, Leiter Referat Krankenhausvergütung des GKV Spitzenverbands
- Nils Dehne, Geschäftsführer der Allianz Kommunaler Großkrankenhäuser (AKG)
sowie von der Rhön Stiftung Stifter Eugen Münch, Vorstandsvorsitzender Boris Augurzky, Vorstand Bernd Griewing und Andreas Beivers, Leiter wissenschaftliche Projekte.
Gefragt: mehr politischer Mut in Bund und Ländern
Das andere Thema der Expertenrunde hängt eng mit dem ersten zusammen: Es stand die Befürchtung im Raum, dass die übertriebene Regelungstiefe für die Krankenhäuser den Blick für neue sektorenübergreifende Lösungen trübe. Dabei sei die regionale Perspektive und die dortigen realen Versorgungsbedarfe besonders wichtig. Ein Diskutant diagnostizierte: „Abgesehen von zaghaften überschaubaren Modellversuchen sehe ich auf der Bundesebene zu wenig Mut, sich an die regionale, sektorenübergreifende Planung heranzuwagen“; er werbe „mit Nachdruck dafür, den Regionen mehr Luft zum Atmen zu geben.“ Ein Befürworter der Reform hielt dem entgegen, dass durch das neue Instrument der Ambulantisierung durchaus Spielräume für sektorenübergreifende Lösungen in einer Region vorhanden seien.
In dem Zusammenhang wurde auch kontrovers über die Rolle der Länder diskutiert. Einer der Experten lobte sie dafür, dass sie „einen riesigen Schritt in Richtung Bund gemacht“ hätten, indem sie einer bundeseinheitlichen Krankenhausplanung anhand von Qualitätskriterien für einzelne Leistungsgruppen zugestimmt hätten. Ein anderer stellte in Frage, ob die Länder am Ende den Mut hätten, ihre Planungshoheit auch voll auszuüben, wenn es um den Abbau von Überkapazitäten gehe bzw. um den Umbau von Grundversorgungshäusern in ambulant-stationäre Zentren. Er verwies auf die Problematik, dass in Ballungszentren in der Regel die meisten Krankenhäuser die neuen Qualitätskriterien erfüllen könnten, während in manchen ländlichen Regionen der letzte verbliebene Versorger damit Probleme habe. Aber was dann? „Gefragt ist der politische Gestaltungswille der Länder, und das macht mich unsicher: Trauen die sich das überhaupt?“ Dem pflichtete ein anderer dezidiert bei: „Dem Grunde nach sind die Instrumente in den Ländern seit Jahrzehnten vorhanden, werden aber viel zu wenig genutzt. Insofern ist es fragwürdig, jetzt mehr Spielraum einzufordern.“
Versäumt: eine offene gesellschaftliche Debatte
In manchen ländlichen Regionen würde schon argumentiert, dass man lieber eine schlechte Versorgung habe als gar keine, berichtete ein Teilnehmer. Ein anderer bestätigte: „Die Menschen werden sehr frustriert sein, wenn ihre kleine Klinik, in die sie immer gehen konnten, jetzt ausscheidet. Sie haben nicht das Problem, dass eine komplexe Behandlung nicht die höchste Qualität hat, das merken sie oft noch nicht einmal, sondern sie haben das Problem, dass es das nicht mehr geben könnte, was ihnen das Gefühl gab, aufgehoben zu sein, weil es erreichbar war.“ Diese gesellschaftliche Debatte, warnte ein Experte, fange an zu brodeln, „weil wir es leider verpasst haben, sie offen und ehrlich zu führen. Das Zeitfenster schließt sich.“ Hier lauere eine Gefahr für die Reform, weil sie mit technokratischen Erklärungen über einzelne Mechanismen nicht zu befrieden sei.
Gefordert: und Spielräume für die Gestaltung in den Regionen
Andere Teilnehmer am Luncheon Roundtable waren optimistischer und plädierten dafür, die Reform jetzt nicht zu zerpflücken, weil sie nicht perfekt sei, sondern darauf zu zählen, „dass kreative Menschen die Gestaltungsräume nutzen, die sich durch die Reform ergeben“. Mehrere Diskutanten machten auch darauf aufmerksam, dass das Regelwerk noch gar nicht abschließend verabschiedet sei und insofern noch an vielen Stellen „Feintuning“ betrieben werden könne, zum Beispiel um Fehlanreize zu korrigieren. Ein Teilnehmer der Runde warb dafür, den Blick schon auf die Zeit nach der Reform zu richten. Denn es sei klar, dass sie schon vom Auftrag her nur den Krankenhaussektor behandelt habe, auch wenn es eigentlich um die größere Frage der wohnortnahen Grundversorgung durch Haus- und Fachärzte, Reha-, Pflege- und andere Einrichtungen gehe: „Ich denke, die Antwort auf die schwindenden Versorgungskapazitäten liegt in den Regionen selbst, weil das Kleinteilige nicht zentralistisch gelöst werden kann.“ Man müsse deshalb über Öffnungsklauseln für besonders betroffene Gegenden nachdenken: Sie würden mit einem Budget X ausgestattet und müssten – oder dürften – dann unter Beteiligung aller Akteure vom Krankenhaus bis zur Krankenkasse und zur Kassenärztlichen Vereinigung in Eigenverantwortung eine sektorenfreie Versorgung gewährleisten.