Die Trennung zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor zieht sich als roter Faden durch das gesamte Gesundheitssystem. Sie macht auch vor den Maßnahmen der Qualitätssicherung und -kontrolle nicht halt, die für die Kliniken auf der einen und die niedergelassene Ärzte auf der anderen Seite unterschiedlich geregelt sind. Im stationären Sektor sind seit geraumer Zeit verschiedene Maßnahmen etabliert und bekannt. Prozesse, Strukturen und Behandlungsergebnisse werden anhand definierter Indikatoren geprüft und die Ergebnisse veröffentlicht. Damit wurde erreicht, dass Kliniken und einzelne Abteilungen verglichen werden können. Die so geschaffene Transparenz führt letztlich zu einer nachhaltigen Verbesserung der Versorgungsqualität. Im ambulanten Sektor gibt es ebenfalls zahlreiche Vorgaben und Maßnahmen der Qualitätssicherung. Doch diese sind weniger bekannt und unterscheiden sich von denen des stationären Sektors.
Wie ist die Qualitätssicherung im ambulanten Sektor organisiert? Müsste sie weiterentwickelt werden? Und was müsste dabei bedacht werden? Darüber sprachen die Teilnehmer des letzten Luncheon Roundtables 2020, der erneut online abgehalten wurde.
Zu den Teilnehmern gehörten:
- Dr. Franziska Diel, Dezernentin im Bereich Versorgungsqualität KBV
- Dr. Ruth Hecker, Vorständin Aktionsbündnis Patientensicherheit
- Prof. Ralf Kuhlen, CMO Helios Health
- Dr. Mani Rafii, Mitglied des Vorstands der Barmer
- Prof. Leonie Sundmacher, Studiendekanin der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften, TU München
- Marcel Weigand, Leiter Kooperationen und digitale Transformation der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland
- Dr. Florian Weiß, Geschäftsführer Jameda
sowie von der Stiftung Münch Professor Boris Augurzky (Vorstandsvorsitzender), Eugen Münch (stv. Vorstandsvorsitzender) und Annette Kennel (Operative Geschäftsführerin).
Qualitätssicherung im ambulanten Sektor:
Vielzahl verpflichtender gesetzlicher und freiwilliger Maßnahmen, aber keine Transparenz für Patienten
Im ambulanten Sektor existieren zahlreiche Maßnahmen der Qualitätssicherung. „Wir haben allerdings ein Kommunikationsproblem, denn sie sind viel zu wenig bekannt“, bemängelte ein Teilnehmer der Diskussionsrunde. Zum einen gibt es verpflichtende, gesetzliche Maßnahmen, die vom G-BA festgelegt werden. Dazu gehören zum Beispiel die Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen oder das interne Qualitätsmanagement. Manche Leistungen dürfen niedergelassene Ärzte nur anbieten, wenn sie die Vorgaben an Ausbildung, Anzahl der Untersuchungen oder Vorhaltung apparativer Infrastruktur nachweisen können („Genehmigungsvorbehalt“). Zudem finden stichprobenartige Überprüfungen statt, die bei entdeckten Mängeln bis hin zum Entzug von Genehmigungen führen können. Zuständig für die Einhaltung und Prüfung sind die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen). Darüber hinaus gibt es weitere Maßnahmen der Qualitätssicherung, bei denen zum Beispiel Ärzte bzw. Ärztenetze direkt Selektivverträge mit Krankenkassen schließen. Auch freiwillige Qualitätsförderung findet statt, die in der Regel auf die Initiative von Ärzten zurückzuführen ist. Dazu gehören die Einrichtung und Teilnahme an Qualitätszirkeln oder Peer Review Verfahren vor Ort.
Doch im Unterschied zum stationären Sektor sind die Maßnahmen der Qualitätssicherung im ambulanten Bereich überwiegend auf die Strukturqualität ausgerichtet. Qualitätsindikatoren, mit denen Ergebnisqualität nachgewiesen werden könnte, finden dagegen praktisch keine Anwendung. Ein weiter Unterschied zum stationären Sektor: die Qualitätssicherung folgt nahezu ausschließlich dem Konzept des „Audit and Feedback“*. Das heißt, die Vorgaben werden geprüft und die Ergebnisse an die Vertragsärzte zurückgemeldet. Eine Veröffentlichung, die sich an die Patienten richtet („Public Reporting“*), findet nicht verpflichtend statt.
Transparenz für die Patienten durch Bereitstellung von Daten
Jeden Tag fragen sich 17.000 Menschen, wie sie einen guten Arzt finden. Das kommerzielle Arztbewertungsportal jameda verzeichnet sieben Millionen Zugriffe im Monat. „In Deutschland haben wir 175.000 Vertragsärzte, da fehlt für die Patienten dann schnell die Orientierung“, so ein Diskutant.
Einige kommerzielle und gemeinnützige Arztbewertungsportale versuchen, die Lücke der fehlenden Informationen zu schließen. Da es jedoch kein auf Qualitätsindikatoren basierendes „Public Reporting“ gibt, werden hier insbesondere Erfahrungen der Patienten bewertet, die „Erlebnis- und Servicequalität“. Das kann auch wichtig sein. Doch Patienten unterscheiden bei der Wahl des Arztes durchaus, wie ein Diskutant unterstrich. „Nicht jeder Patient, der nach einem Arzt sucht, hat die gleichen Bedürfnisse und nicht jeder Arzt die gleiche Spannbreite an Daten“, formulierte er. Er wies darauf hin, dass eine Studie ergeben hat, dass bei der Suche nach einem Hausarzt kommunikative Aspekte, Vertrauen und Erreichbarkeit im Vordergrund stehen. Bei der Suche nach einem Facharzt und mit höherem Erkrankungsgrad dagegen sind es Erfahrung, Kompetenz und apparative Ausstattung.
Gerade die Ausstattung der Praxen sollte verpflichtend veröffentlicht werden, forderte ein Diskussionsteilnehmer. Denn sie kann durchaus relevant sein: „Wenn ich sehe, der Radiologe hat kein MRT, ich brauche aber eines, dann rufe ich da gar nicht an. Das würde auch der Praxis Arbeit sparen, weil unnötige Telefonanfragen wegfallen“, zeigte er sich überzeugt.
Auch die Fortbildungen, die ein Arzt besucht hat, könnten Patienten bei der Wahl des Arztes eine wichtige Orientierung geben – ebenso wie die Fallzahlen. Deshalb waren einige Teilnehmer der Diskussion überzeugt, dass es zu einer Verbesserung führen würde, wenn die qualitätsgesicherten Leistungen durch die KVen veröffentlicht würden.
Bleibt die Frage nach der Veröffentlichung von Qualitätsmessungen, die auf Qualitätsindikatoren basieren. Damit könnten zumindest für einige Krankheitsbilder oder Therapien die Ergebnisqualität transparent gemacht werden. „Dass das unbeliebt ist, ist bekannt“, monierte ein Teilnehmer der Diskussion. Möglich wäre es jedoch. „Es liegt nicht in erster Linie an der Machbarkeit oder daran, dass wir nicht wissen, welche Indikatoren gemessen werden müssten“, so unterstrich er, „sondern es liegt an mangelnden konstruktiven Konsensverfahren zwischen Ärzten, die sich darauf einigen, welche Indikationen man zu welchen Zweck nimmt, und an mangelnder Differenzierung zwischen Audit and Feedback und Public Reporting.“ Im stationären Bereich sei das Thema durch große Akteure wie Klinikketten getrieben worden; diese Akteure fehlen jedoch im niedergelassenen Bereich. Deshalb gebe es zwar einzelne Vorreiter, aber keine flächendeckende Lösung.
Weg von unliebsamer Pflicht hin zu „Peer Pressure“
„In den Kliniken ist das Thema Qualitätsmanagement mittlerweile etabliert und wird akzeptiert“, so ein Teilnehmer. Im ambulanten Sektor dagegen sei es nach wie vor überwiegend unbeliebt und steht einer oft großen Abwehrhaltung gegenüber. „Es gibt bei Ärzten eine intrinsische Motivation, keine schlechte Qualität zu liefern“, so ein Teilnehmer, „aber ich frage mich, was sie dann davon abhält, den Weg zu gehen und die Qualität transparent zu machen?“ Das Thema müsse weg von „ich schau Dir auf die Finger und nehme Dir etwas weg“ hin zu einem positiven Momentum oder einem positiven „peer pressure“ gebracht werden. Deshalb, so betonte er, sei es vielleicht wichtiger, sich zu überlegen, wie eine positive Grundhaltung erreicht werden kann, statt neue Maßnahmen der Qualitätssicherung zu entwickeln.
Um einen Kulturwandel zu erreichen, stellte ein Teilnehmer einen Vorschlag zur Diskussion: „Vielleicht sollte man die Instanz, die für die Abrechnung zuständig ist, trennen von derjenigen, die „überwacht und straft“, so formulierte er, „wenn wir die Berichterstattung über Qualität und Transparenz trennen von Sanktion und Vergütung könnten wir vielleicht zu einer positiven Qualitätskultur kommen.“ Sprich: nicht mehr die KVen selbst sollten für die Qualitätssicherung verantwortlich sein. „Es ist immer gut, wenn ein Externer das prüft“, merkte ein weiterer Diskussionsteilnehmer an.
Ein anderer Teilnehmer regte an, dass man nicht nur über Strafen und Bußgelder sprechen, sondern über Incentivierungen nachdenken sollte. Damit könnte auch ein Perspektivwechsel erreicht werden: weg von „Schlechtes vermeiden“ hin zu „wie kann ich Gutes erreichen?“
Bürokratiemonster vermeiden
„Als wir das Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir die Anstrengungen“
(Mark Twain)
Wie sollten also Maßnahmen zur Qualitätssicherung weiterentwickelt und eingeführt werden? Entscheidend für den Erfolg ist, erst einmal zu definieren, was man überhaupt erreichen will, betonte ein Teilnehmer. Denn schließlich gehe es bei Qualitätsmanagement immer um einen Soll-Ist-Abgleich. Erst, wenn das gewünschte Ziel klar definiert ist, können geeignete Maßnahmen erarbeitet werden. „Hier wird oft viel durcheinandergeworfen und versucht, verschiedene Ziele mit einer Maßnahme zu erreichen“, monierte er. Das führe dazu, dass die Qualität nicht besser, die Bürokratie dafür aber ins Unermessliche gesteigert werde.
Der bürokratische Aufwand dürfe nicht Überhand nehmen, waren sich die Gesprächsteilnehmer einig. „Zu viel Aufwand für die Bürokratie zerstört die Qualitätsbemühungen“, warnte ein Teilnehmer. Es müsse deshalb bei Einführung sämtlicher neuer Maßnahmen stets überwacht werden: „Wir müssen uns fragen, was ist relevant und was hat Priorität? Und entsprechend muss auch der Einsatz von Qualitätssicherungsmaßnahmen priorisiert werden.“
Chronische Patienten und sektorenübergeifende Behandlung
Ambulantisierung der Medizin und sektorenübergreifende Versorgung spielen eine immer wichtigere Rolle im Gesundheitswesen. Deshalb müssen auch bei der Qualitätssicherung neue, sektorenübergreifende Modelle entwickelt werden. „Der Patient fühlt sich nicht als ambulanter Diabetiker oder stationärer Oberschenkelhalsbruch.“ Also sei es für ihn auch ein Qualitätsmerkmal, wie die Versorgungskette organisiert ist. Zudem gibt es eine Zunahme an chronischen Erkrankungen, die eine medizinische Versorgung über einen langen Zeitraum erforderlich machen. Und bei der Behandlung von Patienten sind heutzutage immer mehr Spezialisten beteiligt. „Wir müssen bei den Ärzten erreichen, gesamthaft Verantwortung zu übernehmen und nicht nur für ein Detail im Behandlungsverlauf“, so ein Teilnehmer der Gesprächsrunde.
Einige Teilnehmer der Diskussion regten die Einführung von „PREMS und PROMS“ an, die in integrierten Versorgungsmodellen zum Einsatz kommen. Gemessen wird dabei sowohl das „Outcome“ der Behandlung (Patient Reported Outcome Measures, PROMS) als auch die Patientenerfahrung (Patient Reported Experience Measures PREMS).
Daten verstehen und einordnen: Patientenkompetenz
Stünden alle verfügbaren Daten transparent zur Verfügung, wären Patienten dann in der Lage, sie zu deuten und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen? Dazu müssten die Daten so aufbereitet werden, dass sie selbst unerfahrene Laien verstehen. „Komplizierte Indikatoren müssen zu so einfachen Balken werden, an denen meine Uroma sieht, ob der Arzt viel oder wenig von etwas macht“, so ein Teilnehmer. Seiner Erfahrung nach sei dies bislang nicht gern gesehen und die so entstehende Transparenz sei gefürchtet. „Nach wie vor hat ein Teil der Ärzte Probleme, Fehler zuzugeben“, sagte er, „Im beruflichen Umfeld wird es besser, Patienten gegenüber aber nicht.“
Doch, darin waren sich die Teilnehmer der Runde einig, ein Kernproblem ist auch die mangelnde Gesundheitskompetenz der Mehrheit der Bevölkerung. „Wie schaffe ich es, dass der Patient nicht nur erkennt, dass der Arzt etwas häufig macht, sondern dass er sich die Frage stellt, ob dies überhaupt sinnvoll für sein eigenes Problem ist? Da müssen wir hin“, so ein Diskutant. Im stationären Bereich hätten Patienten über die veröffentlichten Daten gelernt, dass es einen Unterschied macht, in welche Klinik sie für einen bestimmten Eingriff gehen. „Es muss nun vermittelt werden, dass das auch bei Fachärzten einen Unterschied macht“, forderte er. Damit würde letztlich auch eine Überversorgung reduziert, die durch fehlerhafte finanzielle Anreize im Gesundheitssystem entstehe.
Ein Teilnehmer kritisierte: „Wir führen eine wissenschaftliche Diskussionen im Elfenbeinturm über Gesundheitskompetenzvermittlung. Aber wir kommen nicht in die Anwendung. Wir müssen aber die Patienten in Lage versetzen, Daten anzuwenden und zu verstehen.“ Dabei könnte eine künstliche Intelligenz helfen, die dem Patienten als ein Alter Ego beiseite steht, die Daten für ihn verständlich erläutert und nach seinen Präferenzen einordnet.
*Konzepte der indikatorenbasierten Qualitätssicherung:
Bei „Audit and Feedback“ wird die Leistung in Bezug auf Standards bzw. Zielgrößen systematisch überprüft und das Ergebnis dem Leistungserbringer übermittelt. Die dafür nötigen Indikatoren beziehen sich auf klinische Leitlinien oder Pfade und teilen sich in Struktur-, Prozess- und Ergebnisindikatoren auf. Sie können auf der Ebene von Leistungserbringern, Versorgungseinheiten oder -netzen und räumlichen Einheiten gemessen werden. Nötig ist ein externer Manager, der die Qualitätsverbesserung steuert und durchsetzt. Direkter Adressat von Audit and Feedback ist der Vertragsarzt. Erreicht werden soll damit eine Verbesserung der Qualität.
Davon getrennt zu sehen ist das Konzept des „Public Reporting“, bei dem die Ergebnisse der Qualitätsmessung zusätzlich veröffentlicht werden, um Transparenz über die Qualität zu schaffen und damit den Qualitätswettbewerb zu befördern. Primärer Adressat ist der Patient, aber auch der Vertragsarzt. Im stationären Sektor ist Public Reporting seit geraumer Zeit etabliert, im ambulanten Bereich existiert es nicht.