Verhilft die Digitalisierung der Netzwerkmedizin zum Durchbruch?
Erster Fachkongress der Stiftung Münch
18. Februar 2016
An die 100 Teilnehmer fanden sich zum ersten Kongress der Stiftung Münch am 18. Februar in München ein. Zum Thema „verhilft die Digitalisierung der Netzwerkmedizin zum Durchbruch?“ gab es neben lebhaften Vorträgen der Experten und einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion auch genug Raum und Zeit, um persönliche Netzwerke zu knüpfen.
Schwarmintelligenz und künstliche Intelligenz
Roni Zeiger, CEO des Patientennetzwerks „smartpatients.com“ und ehemaliger Leiter des Bereichs Gesundheit von Google, hob die zunehmende Bedeutung der Vernetzung von Patienten untereinander hervor. Aus dieser „Schwarmintelligenz“ entsteht neue Expertise unter Laien, deren spezifisches Wissen über eigene Krankheiten systematisch genutzt werden muss. Mittlerweile kollaborieren bereits drei Mal mehr Patienten am Tag untereinander bzgl. ihrer Erkrankungen, Probleme, Behandlungsmethoden etc. als herkömmliche Arzt-Patienten-Gespräche stattfinden. Die klassischen Anbieter haben noch keinen Weg gefunden, wie sie mit dieser „Schwarmintelligenz“ umgehen und letztlich davon profitieren können – auch im Sinne einer Anpassung ihres Geschäftsmodells.
Matthias Reumann, Forscher bei IBM Research in Rüschlikon, ging darauf ein, wie durch die Nutzung großer Datenmengen von Systemen, die nicht nur stur auswerten, sondern auch lernen, neue Zusammenhänge gefunden werden können. Damit werden Ärzte in ihrer Tätigkeit unterstützt.
Medizin-Informatiker Christian Lovis warnte jedoch, dass die Ergebnisse auch richtig interpretiert werden müssten – und eine ungenaue statistische Angabe nur bedingt geeignet ist, um folgenschwere Handlungsempfehlungen in der Medizin daraus abzuleiten.
Kostentreiber des Gesundheitswesens und ein Blick in die USA
Der Vorstandsvorsitzende der Charité, Karl M. Einhäupl, nannte als Kostentreiber die demografische Entwicklung, die evidenzbasierte Medizin, kürzere Innovationszyklen und steigende Medikamentenkosten. Er ist überzeugt, dass die Digitalisierung die Kosten sogar noch in die Höhe treiben wird und die zunehmenden Datenmengen als Akzeleratoren dienen. Eine wissenschaftlich saubere Auswertung der Daten im Sinne der Versorgungsforschung sollte jedoch gegeben sein.
In den USA steht das Gesundheitssystem vor einem besonders hohen Kostenberg – Andreas Schmid betonte, dass das System jedoch u.a. angestoßen durch „Obamacare“ durch eine hohe Experimentierfreudigkeit gekennzeichnet sei, das anpassungsfähiger auf Probleme reagiere. Die sog. ACOs, die zum Teil dem Modell der Netzwerkmedizin entsprechen, haben einen hohen Zulauf. Dies ist auf das klare Commitment der größten Versicherung der USA, Medicare, zurückzuführen, die von einer Einzelleistungsfinanzierung hin zu einer wertbasierten Vergütung bis zum Jahr 2019 übergehen wird.
Gebt die Daten frei!
In der Podiumsdiskussion herrschte Einigkeit darüber, dass Deutschland hinterherhinke – als einziges Land in Europa hat es bis dato keine ePA, die
aber alle ausnahmslos als wichtig erachten. Eugen Münch beklagt eine Regulierungsleere und auch Lovis sah einen Regulierungsbedarf, der eine Interoperabilität der Systeme vorsieht und bei Nichteinhaltung finanzielle Einbußen nach sich zieht.
Eugen Münch kann sich vorstellen, dass die Regulierungslücke durch den Zusammenschluss starker Player überbrückt werden kann. Francesco de Meo sieht den Datenschutz als vorgeschobenes Argument – wie alle anderen Teilnehmer auch. Um den Prozess voranzubringen, schlug Lovis vor, die Patienten ihre Daten selbst freigeben zu lassen. Matthias Reumann betonte, dies könne eine „Graswurzelrevolution“ auslösen, die viel in Gang bringen würde.
Eine ausführliche Zusammenfassung finden Sie in den Stiftung Münch. Themen vom März 2016 hier