9. Juli 2018
Kann die sektorenübergreifende Versorgung gefördert werden, in dem die Vergütung von stationär und ambulant erbrachten Leistungen vereinheitlicht wird? Mit diesem Thema befasste sich der 5. Dialog Gesundheitswirtschaft am 29. Juni in München, der gemeinsam von der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, der Hochschule Fresenius und der Stiftung Münch organisiert wurde. Nachdem Sigrid König (Vorständin BKK Landesverband Bayern), Dr. Wolfgang Krombholz (Vorstandsvorsitzender der Kassenärztliche Vereinigung Bayern) und Katrin Blechschmidt (Leiterin Leistungs- und Kostencontrolling der Rhön-Klinikum AG) in ihren Vorträgen die Einschätzung von „hybriden DRGs“ aus Sicht der unterschiedlichen Akteure dargestellt hatten, ergab sich gemeinsam mit dem Landtagsabgeordneten und Vorsitzenden des Ausschusses für Gesundheit und Pflege, Bernhard Seidenath, eine intensive Diskussion mit den rund 70 Teilnehmern.
Krankenhäuser nach DRG, niedergelassene Ärzte nach EBM – so ist die Vergütung ärztlicher Leistungen grundsätzlich geregelt und folgt damit der strikten Aufteilung in den ambulanten und den stationären Bereich. Doch soll die sektorenübergreifende Versorgung gefördert werden, zudem gibt es einen starken Trend zur Ambulantisierung. Damit muss auch die Vergütungssystematik überprüft werden. Bereits vor über zehn Jahren wurden in einem Modellprojekt in Hessen teilstationäre DRGs kalkuliert und vorgeschlagen, die jedoch zunächst keinen Anklang fanden. 2017 gab es einen erneuten Vorstoß, diesmal der TK in Thüringen. Bei vier Indikationen erhalten die Leistungserbringer eine „hybride Vergütung“: egal, ob die Behandlung im Krankenhaus oder ambulant durchgeführt wird, erfolgt die Vergütung mit derselben Summe, die aus einer Mischkalkulation resultiert. Diese liegt über dem, was ambulant bisher verrechnet wurde, und unterhalb dessen, was die Klink erhielt.
Aus Sicht von Sigrid König zeigt sich aus den ersten Erfahrungen, dass „hybrid nicht gleich hybrid ist.“ Unterschiedliche Leistungen werden unterschiedlich stark in Anspruch genommen: „Man darf Äpfel nicht mit Birnen vergleichen.“ Die Vergütung einer Leistung nach DRG habe einen anderen Leistungsumfang und eine andere Komplexität des Falls, die auch im individuellen Gesundheitszustand oder dem sozialen Umfeld und der Morbidität begründet sein kann. Dies müsse bei der Forderung „ambulant vor stationär“ berücksichtigt werden. Positiv bewertete sie, dass die Leistungen der Hybrid-DRGs identisch dokumentiert werden müssten und damit sektorenübergreifende Qualitätsparameter entstünden. König mahnte an, dass der Patient wieder deutlicher in den Fokus gerückt werden müsse, der oft die Probleme des Systems tragen müsse. „Die Sicht des Arztes ist, wie verdiene ich Geld?´, die Sicht des Patienten, wie werde ich optimal behandelt?“ Um dieses Ziel zu erreichen, forderte sie eine sektorenübergreifende und einheitliche Bedarfsplanung statt einer reinen Regelung der Vergütung. „Wir brauchen Nahtstellen statt Schnittstellen“, so König.
„In der Biologie sind Hybride Mischwesen, und die haben in der Regel eher geringere Chancen, sich fortzupflanzen“, begann Dr. Wolfgang Krombholz, Präsident der KVB, seinen Vortrag. Aus Sicht der Kassenärzte sollten vor allem Praxiskliniken und Belegärzte gefördert werden, statt den Handlungsspielraum der Kliniken zu erweitern, betonte Krombholz. Oft könne ambulant oder belegärztlich behandelt werden. Doch es entscheide allein die Klinik, ob sie eine Haupt- oder Belegabteilung etablieren wolle. Folglich stünden bei der Wahl der Organisationsform die wirtschaftlichen Interessen der Klinik im Vordergrund. Krombholz forderte, die KV als Vertreter der Belegärzte müsse in diese Entscheidung einbezogen werden. Sonst sei es nicht möglich, eine Brücke zwischen ambulant und stationär zu bauen. Er betonte, dass dies ein Bayerisches Problem sei – in anderen Bundesländern werde das so gehandhabt. Kritisch für das Gelingen einer sektorenübergreifenden Versorgung sah Krombholz auch, dass in den Ministerien die Abteilungen für ambulante und stationäre Versorgung getrennt geführt werden: „Da muss man sich nicht wundern, dass eine Verzahnung nicht klappt.“
Katrin Blechschmidt, die das Kostencontrolling der Rhön-Klinikum AG leitet, sah ein Problem in den unterschiedlichen Zuständigkeiten bei der Bedarfsplanung, die nicht die Gesamtversorgung berücksichtige, sondern die Sektoren getrennt betrachte. Zudem verhinderten sektorenspezifische Vergütungssysteme und Budgets eine engere Verzahnung der Sektoren. Es gebe wenig Anreize, die Versorgung übergreifend anzugehen. Blechschmidt betonte, dass Kliniken für die ambulante Versorgung nach EBM vergütet werden und damit nicht kostendeckend arbeiten könnten. Denn der EBM sei für den ambulanten Bereich entwickelt worden, eine Klinik habe aber andere und höhere Vorhaltekosten. „Leistung in der Klinik ist mehr als die ärztliche Leistung“, so Blechschmidt.
Für Hybrid-DRGs sehe sie das Risiko, dass Leistungserbringer die einfachen Fälle herauspicken können, die komplexen Fälle dagegen in den Kliniken behandelt werden – die dafür aber eine geringere Vergütung erhalten. Die zunächst getesteten Hybrid-DRGs beziehen sich zudem alle auf operative Behandlungen. „Bei konservativen Therapien wird es deutlich komplexer“, warnte Blechschmidt.
Bernhard Seidenath betonte in der abschließenden Diskussionsrunde den Willen des Gesetzgebers, die Sektoren zusammenzubringen. Die Grenzen ambulant-stationär dürften nicht unnatürlich aufrechterhalten werden, es müsste ein maßgeschneidertes Modell für die Patienten gefunden werden. Um ein modernes Vergütungssystem zu entwickeln, habe man beim Bundesministerium für Gesundheit eine wissenschaftliche Kommission eingerichtet. Dieses basiere auf einem Modell, das EBM und GOÄ weiterentwickelt und angleicht. Vor der Vergütung stehe jedoch die Planung, wann und wo die Leistung erbracht wird.
Seidenath warnte zudem vor einer unsachlichen Debatte: „Populismus darf nicht stärker sein als fachliche Debatten!“.